Die Teerose
kehrte in den Gerichtssaal zurück und setzte sich neben Teddy. Noch mehr Leute war eingetroffen, die Bänke füllten sich. Dann ging die Tür zum Richterzimmer auf. Ein Gerichtsdiener erschien. »Bitte erheben Sie sich!« rief er.
Fiona stand mit den anderen im Gerichtssaal auf. Cameron Eames trat mit schwingender schwarzer Robe ein, warf einen Blick durch den Raum und setzte sich dann, um seine Prozeßliste zu lesen. Sie war erstaunt, wie jung er aussah. Und wie streng. In seinem hellen, jungenhaften Gesicht war kein Mitgefühl abzulesen. Kein Erbarmen. Schließlich befahl er, die Verhafteten hereinzuführen. Die Tür ging auf, und eine Reihe Männer marschierte herein. Sie trugen Handschellen. Fiona reckte den Kopf und sah sich verzweifelt nach Nick um. Als sie ihn entdeckte, rang sie nach Luft. Er hatte einen Bluterguß am linken Auge, auf seiner Wange war ein tiefer Schnitt und unter seiner Nase getrocknetes Blut. Er humpelte, und sein Jackett war zerrissen.
»Nick!« schluchzte sie auf und erhob sich.
»Scht!« zischte Teddy und riß sie nieder.
Nick hatte sie nicht gehört, aber Eames. Er warf einen ärgerlichen Blick in ihre Richtung. »Die Sitzung des Strafgerichts der Stadt New York ist eröffnet«, erklärte er. Dann las er den Männern die Anklagen vor, die gegen sie erhoben wurden. »Herumlungern, ungebührliches Benehmen …«, begann er.
»Alles nur Vergehen«, flüsterte Ambrose zuversichtlich.
» … öffentliches Ärgernis, Anstiftung zur Prostitution … und Sodomie.«
»Er ist geliefert. Letzteres ist ein Verbrechen. Sie werden ihn nicht mit einem Bußgeld davonkommen lassen. Wenn er sich nicht schuldig erklärt, kommt es zum Prozeß. Aus irgendeinem Grund möchte Eames an den Männern ein Exempel statuieren.«
»Stephen, gibt es denn nichts, was wir tun könnten? Irgend etwas?« fragte Fiona blaß vor Angst.
»Ich hab nur eine Idee«, antwortete Stephen. »Wenn auch keine besonders gute.«
»Egal. Probieren Sie alles.«
»Sie sagten, Nick wandere nachts oft durch die Stadt?«
»Ja. Oft.«
»Warum?«
»Um müde zu werden. Er schläft schlecht.«
Ambrose nickte.
Eames rief den ersten Gefangenen auf, einen unappetitlich aussehenden Kerl, der sich in allen Anklagepunkten für schuldig bekannte. Nach ihm wurden zwei respektabel aussehende Männer aufgerufen. Beide wurden gefragt, ob sie einen Anwalt hätten,was beide verneinten. Sie wurden für schuldig erklärt. Als nächstes war Nick an der Reihe. Als der Richter ihn fragte, ob er einen Beistand habe, trat Stephen Ambrose vor. Nick, der mit gesenktem Kopf dagesessen hatte, sah überrascht auf. Suchend wanderte sein Blick von Ambrose über die Bankreihen. Dann entdeckte er sie. Ihre Blicke trafen sich, und sie sah Angst in seinen Augen. Er versuchte, ihr ein kleines Lächeln zu schenken, zuckte aber zusammen.
Eames fragte Ambrose, wie sein Mandant sich bekenne.
»Nicht schuldig, Euer Ehren«, antwortete Ambrose.
»Herr Verteidiger, ich bin nicht zum Spaßen aufgelegt. Mr. Soames wurde im Slide gesehen. Es gibt Aussagen von Augenzeugen und den verhaftenden Beamten«, warnte Eames.
Ambrose hielt seine manikürten Hände hoch. »Ich bestreite die Anwesenheit meines Mandanten im Slide nicht. Dennoch behaupte ich, daß alle Anklagen nicht auf ihn zutreffen. Es handelt sich um einen bedauerlichen Fehler, Euer Ehren.«
»Darum handelt sich’s ja immer«, sagte Eames seufzend und erntete Gekicher aus dem Saal.
»Mein Mandant betrat das besagte Lokal ganz zufällig. Er wollte nur etwas trinken und erkannte nicht, worum es sich bei dem Etablissement handelte. Mein Mandant leidet an Schlaflosigkeit und wandert daher nachts herum, um müde zu werden. Als Ausländer ist er mit den verschiedenen Teilen unserer Stadt wie mit einigen ihrer Bewohner nicht gänzlich vertraut. Ihm war nicht bewußt, daß er einen schlecht beleumundeten Ort aufsuchte.«
Fiona hielt den Atem an. Stephens Plan war riskant. Was, wenn Nick das Slide auch die Abende zuvor besucht hatte? Wenn ein anderer Gefangener dies aussagte? Sie sah die Männer an. Einige grinsten spöttisch, aber keiner sagte ein Wort.
»Mr. Soames ist ein respektables, angesehenes Mitglied unserer Gesellschaft«, fuhr Stephen fort. »Diese Anklagen sind völlig haltlos. Ein gesetzestreuer Mann wurde fälschlicherweise festgenommen …«
»Herr Verteidiger …«
»…und schlecht behandelt. Ich möchte, daß dies ins Protokoll aufgenommen wird.«
»Herr Verteidiger, Ihre Ammenmärchen
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