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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Angst, daß er bereute, was sie getan hatten. Daß er sie schließlich doch nicht wollte. Daß sie sich die Dinge, die er ihr unter den Pfeilern gesagt hatte, nur eingebildet hatte. »Was ist?«
    Er nahm ihre Hand. »Nichts«, sagte er. »Und alles.«
    »Es tut dir leid, was geschehen ist, nicht?«
    »Leid? Mit dir geschlafen zu haben? Nein, Fiona, das tut mir nicht leid. Ich hab Angst. Angst, daß du mich nicht willst. Angst, daß wir von hier weggehen könnten und daß ich dich nie mehr wiedersehen werde. Leid tut mir nur, was ich vor zehn Jahren getan hab, genau hier …«
    »Joe, du mußt nicht …«
    »Doch. Es tut mir so furchtbar leid. Alles. All den Kummer, den ich dir zugefügt hab.«
    »Ist schon gut …«
    »Nein, das ist es nicht. Es war nie mehr gut. Nicht seit dem Tag, als ich diese Stufen hinauf- und von dir weggegangen bin. Ich hab dir weh getan an diesem Tag, das weiß ich, aber du hast nur mich verloren. Ich hab mir tausendmal mehr weh getan, weil ich dich verloren hab. Seitdem hab ich mich jeden Tag nach dir gesehnt. All die Jahre ohne dich zu leben …« Er schluckte hart, und Fiona sah Tränen in seinen Augen schimmern. »Es war, als lebte ich in einem Verlies, ohne Wärme, Licht und Hoffnung.« Wieder nahm er ihre Hände. »Ich würde alles geben, um meine Tat ungeschehen zu machen, aber das geht nicht. Aber wenn du mich läßt, werde ich alles tun, um dich glücklich zu machen. Was ich gesagt hab, meine ich. Ich liebe dich, Fee. Von ganzem Herzen. Glaubst du, daß wir noch einmal eine Chance haben? Glaubst du, daß du mir vergeben kannst?«
    Fiona sah in die Augen, die sie so gut kannte, die sie so liebte. Tiefer Kummer, tiefes Leid stand darin. Wie sehr wollte sie diesen Schmerz vertreiben. »Ich hab dir bereits vergeben«, erwiderte sie.
    Joe nahm sie in seine Arme und hielt sie fest. Lange blieben sie so sitzen, dann sagte er: »Komm heim mit mir.«
    Sie wollte ihm gerade antworten, als oben an der Treppe Schritte zu hören waren. Eine Stimme bellte: »Da bist du ja, du dummes Ding!«
    Es war Roddy, und er war wütend. »Was zum Teufel ist los mit dir, Fiona? Hast du denn den Verstand verloren? Es ist schon fast zehn! Vor Stunden ist Andrew zu mir ins Revier gekommen, um mir zu sagen, daß du allein losgezogen bist. Ich hab in dem Haus in Mayfair auf dich gewartet. Und mich zu Tode geängstigt. Ich hab gedacht, William Burton hat dich erwischt. Wo bist du denn gewesen?«
    »Nur hier … ich bin … ähm … am Ufer entlangspaziert und hab nach Steinen gesucht.«
    Fiona bemühte sich um Fassung. »Tut mir leid, Onkel Roddy. Ich wollte dich nicht ängstigen, aber mir geht’s gut. Niemand hat mich belästigt. Ich bin bloß von Whitechapel hier rüberspaziert, hab Joe getroffen und die Zeit vergessen.«
    »Ja, das kann ich sehen«, erwiderte er grollend.
    »Komm, setz dich zu uns«, sagte sie und deutete auf die Stufe über ihr. »Ich war den ganzen Abend völlig sicher. Wirklich.«
    »Hängt ganz davon ab, was du sicher nennst«, antwortete er und sah Joe bedeutungsvoll an. Immer noch mürrisch stieg er die Treppe herunter und setzte sich zu ihnen. Fiona reichte ihm die Reste ihres Abendessens. Er aß einen Chip, dann noch einen, schließlich verzehrte er den Schellfisch. »Ich bin völlig ausgehungert. Hatte kein Abendessen. Hab die ganze Zeit nach dir gesucht. Ich wollte schon die Hälfte der Londoner Polizei in Bewegung setzen.«
    »Ich hol dir ein richtiges Abendessen. Bleib hier sitzen, ich bin gleich wieder zurück«, antwortete sie und sprang auf. Sie lief die Treppe hinauf in Richtung Pub, nur um Roddys schlechte Laune zu entkommen. Hoffentlich hatte er sich ein wenig beruhigt, wenn sie zurückkam.
    Joe und Roddy sahen ihr nach. Als sie außer Sichtweite war, sahen sie sich an und starrten dann aufs Wasser hinaus.
    »Nach New York zurückgefahren, was?« sagte Joe.
    »Wenn ich wegen dir auch nur eine einzige Träne seh, dann schwör ich bei Gott …«
    »Das wirst du nicht.«
    Nach einem Moment des Schweigens fügte Roddy hinzu: »Sie sollte sich auf ihren Geisteszustand untersuchen lassen. Ihr beide solltet das tun. Und sei’s nur deswegen, weil ihr an diesem häßlichen Fluß fettige Chips eßt, obwohl ihr Geld genug hättet, in ein ordentliches Restaurant zu gehen.«

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    R oddy stieß mit der Fußspitze den leblosen, blutüberströmten Körper von Bowler Sheehan an, der ausgestreckt im Gefängnishof von Newgate lag. Ein Meterstab, immer noch aufgeklappt, lag auf dem

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