Die Teerose
zu stolz und nimm es.« Kate nickte und kämpfte wieder mit den Tränen. »Schreib Michael und …« Er konnte nicht weitersprechen vor Schmerzen. Er ergriff ihre Hand. »… schreib ihm, was passiert ist. Er wird dir Geld schicken. Und paß auf, daß ich nicht mit meinem Ehering begraben werd. Er ist in der kleinen Schale auf dem Kaminsims. Bring ihn ins Pfandhaus.«
»Nein.«
»Doch, es ist bloß ein Ring …«, sagte er eindringlich.
Kate versprach es, und er sank in sein Kissen zurück. Sie zog ihr Taschentuch heraus und wischte sich die Augen ab, dann sah sie ihren Mann wieder an. Seine Brust war still, sein Gesicht friedlich. Er war tot.
10
F iona, Schatz … iß doch ein bißchen«, bat Rose Bristow. »Ein wenig Eintopf, ein Sandwich?«
Fiona saß an ihrem Küchentisch und lächelte matt. »Ich kann nicht, Mrs. Bristow.«
»Aber, Kind, du mußt doch was essen. Die Kleider hängen ja bloß noch an dir runter. Bloß einen Bissen? Na komm, Mädchen. Sonst ist Joe böse mit mir, wenn er dich sieht. Du bist ja nur noch Haut und Knochen.«
Nur um ihr eine Freude zu machen, gab Fiona nach und willigte ein, daß Rose ihr einen Teller Eintopf zurechtmachte. Sie hatte keinen Hunger und konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder Appetit zu haben. Die Küche war voller Essen. Nachbarn hatten Fleischpasteten, Würstchen im Teigmantel, Eintopf, kaltes Fleisch, Kartoffeln, gekochten Kohl und Sodabrot für ihre Familie gebracht, damit sie genügend für sich und die Trauergäste hatten, die während der drei Tage Totenwache und zur Beerdigung gekommen waren. Unter Roses wachsamem Blick nahm sie eine Gabel Eintopf, kaute und schluckte.
»So ist’s recht, Mädchen. Du ißt das auf, und ich seh nach deiner Mutter. Joe wird bald hiersein. Ich hab den Brief vor zwei Tagen abgeschickt. Mach dir keine Sorgen, Liebes, er wird kommen.«
Mrs. Bristow ging ins Wohnzimmer zu den anderen Trauergästen, die mit Fiona und ihrer Familie vom Kirchhof zurückgekommen waren. Fiona legte die Gabel weg und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Immer wieder sah sie die Beerdigung ihres Vaters vor sich. Die lange Prozession zum Friedhof, den Sarg, der in die Erde hinabgelassen wurde, ihre Mutter, die fast zusammenbrach, als der Priester eine Handvoll Erde daraufwarf.
Seine letzte Nacht hatte ihr Pa unter ihrem Dach verbracht, und jetzt war er fort, in kalter Erde begraben.
Was würde aus ihnen werden? Aus ihrer Ma … die zwei Tage lang nicht mehr ansprechbar gewesen war und sich geweigert hatte, Eileen zu stillen. Mrs. Farrell, eine Nachbarin, die selbst ein Neugeborenes hatte, war eingesprungen. Kate hatte im Bett gelegen, geschluchzt und außer sich vor Kummer nach ihrem Mann gerufen. Am Abend des zweiten Tages war sie mit kreidebleichem Gesicht, eingefallenen Augen und mattem, wirrem Haar nach unten gekommen, um am Sarg ihres Mannes in die schaurige Totenklage einzustimmen, die die Iren für ihre Verstorbenen abhalten. Es war beängstigend, das mit anzuhören, die Laute einer menschlichen Seele, die ihre Qual zum Himmel hinaufschreit.
Danach hatte sie Rose erlaubt, sie zu baden, ihr warme Kompressen an die geschwollenen Brüste zu drücken und ihr Haar zu kämmen. Immer noch benommen, hatte sie nach ihren Kindern gefragt und darauf bestanden, daß Eileen zu ihr gebracht wurde. Sie hatte mit Roddy die Beerdigungsfeierlichkeiten besprochen, dann war sie wieder ins Bett gegangen und schlief zum erstenmal seit Tagen.
Charlie bemühte sich nach Kräften, stark zu sein und seiner Familie beizustehen. Seamie reagierte wie alle Vierjährigen. Es gab Momente, da war er ängstlich und verwirrt und rief nach seinem Vater, dann saß er wieder vor dem Kamin, beschäftigte sich mit seinen Spielsachen und schien alles vergessen zu haben. Fiona hatte großes Mitleid mit ihm und Eileen, denn sie würden ihren Vater nie wirklich kennenlernen.
Jemand berührte sie sacht an der Schulter und riß sie aus ihren Gedanken. »Fiona, könntest du den Kessel aufsetzen?« fragte Mrs. Bristow. »Ben Tillet ist mit seinen Leuten hier. Sie könnten eine Tasse Tee vertragen.«
»Ja«, antwortete sie und erhob sich.
Rose verschwand wieder, und Fiona machte Tee, erleichtert, eine Aufgabe zu haben, die sie ablenkte. Als sie die Kanne ins Wohnzimmer trug, sah sie, daß immer noch viele Trauergäste im Haus waren, die ihrem Vater die letzte Ehre erweisen wollten. Sie zwang sich, mit Nachbarn und Freunden zu reden. Fiona hörte höflich zu und
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