Die Templerverschwoerung
war. Sie hatte etwas Mittelalterliches gehabt, als hätte jemand die Jahrhunderte weggewischt. Die Säulen und Mauern strahlten Dauerhaftigkeit aus und erschienen ihm wie ein Schwamm, der die Stimmen von Generationen aufgesogen hatte.
Die Kathedrale, in der er jetzt saß, stammte aus dem Jahre 1933. Sie war gewaltig, löste aber nichts in ihm aus. Außen und innen wirkte sie wie eine bescheidene Variante von Böhmischem Barock, die man ins Herz Afrikas verpflanzt hatte. Die bunten Glasfenster, die Bilder und zahlreichen Leuchter, ja selbst die Holzbänke muteten europäisch an. Sie waren wie ein Widerhall von fernen Küsten und fremden Liturgien. Conor fühlte sich irgendwie am falschen Ort. Die Gläubigen um ihn herum tanzten und sangen zum Rhythmus der Trommeln, der ihm wie Donnergrollen vorkam. Doch vom Aussehen her erinnerte ihn die Kathedrale an eine irische, jene der Heiligen Dreifaltigkeit von Waterford, die einzigeBarockkirche in ganz Irland. Dort war er getraut worden. Ein Schauer überlief ihn, wenn er daran dachte.
Aoife hatte neben ihm gezittert, als sie vor dem Altar standen. In dem langen weißen Kleid und mit der kastanienbraunen Haarflut, die ihren ganzen Rücken bedeckte, war sie ihm wie die schönste Braut der Welt erschienen. Er war damals jung und naiv genug gewesen, um noch an Träume zu glauben. Bisher hatte er sie nie wirklich berührt und nur selten geküsst. Ihr Anblick mit den nackten Schultern vor dem Altar hatte das erste wirkliche Begehren in ihm geweckt. In der Kirche hatte niemand getrommelt oder getanzt, aber die Hochzeitsfeier in der Burg Waterford geriet zu einem wilden Gelage, wo er seine kleine Braut zum ersten Mal große Gläser Guinness kippen sah, was er nie von ihr gedacht hätte. In den Jahren danach war das Glück zerronnen – vor allem wegen ihrer Trinkgewohnheiten, aber auch, weil sie kein Kind bekam, obwohl er, damals noch treuer Katholik, jedes Verhütungsmittel ablehnte und stets auf Familienzuwachs hoffte. Nie wieder trug sie das weiße Kleid, auch keine Blumen in ihrem langen dunklen Haar. Nie wieder hatte sie ein einladendes Lächeln für ihn. Seine Roísín Dubh, seine ›Dunkle Rose‹ 6 , welkte bald als chronisch Kranke dahin. Er schaute sich um und sah Mariyam, die sich zusammen mit den anderen Frauen in einem ruhigen Tanz bewegte, sich wie diese drehte, verbeugte und zum Rhythmus in die Hände klatschte. Auch sie zeigte kein Lächeln. Ihm wurde deutlich, dass sie hier, da die tanzenden Frauen sie verzaubert und in ihren Kreis gezogen hatten, eine Fremde für ihn war.
Auf dem Flug nach Addis Abeba fragte er sich immer wieder, warum er sich zu dieser Reise entschlossen hatte. DerFall faszinierte ihn natürlich, und er fühlte sich zunehmend darin bestärkt, dass sich das Motiv für die Morde nicht in Cambridge oder Paris, sondern hier in Äthiopien entschlüsseln lassen würde. Wenn jemand in der Tat nach der Bundeslade suchte, dann würde er diese in Europa nicht finden. Zudem erwachte der Beschützer in ihm. Mariyam war Bibliothekarin, eine Akademikerin wie der tote Professor, die gewiss nicht auf sich selbst aufpassen konnte, wenn es gefährlich wurde. Er dagegen war dafür ausgebildet. Andererseits würde er allein in Äthiopien nicht weit kommen. Und ihm dämmerte, dass er gern in ihrer Nähe war. Wenn bei dieser Reise gar nichts herauskam, dann hatte er zumindest in einem interessanten Land einen schönen Urlaub verbracht, der ihm seit ewigen Zeiten zustand. Aber vielleicht stolperte er ja irgendwo über die Bundeslade und gelangte so auf das Titelblatt des National Geographic . Mariyam machte sich keine große Hoffnung darauf, hatte ihm allerdings schon mehrfach erklärt, jeder Äthiopier sei überzeugt, dass sich das Heiligtum in seinem Land befinde.
Über seine Sachen hatte Conor eine weiße Gabbi gestreift und sich eine runde graue Kappe aufgesetzt, die wirkte wie ein kleiner Pilz. Er sah den Tänzern zu, die sich wie in Trance bewegten. Mariyam hielt sich auf der Seite der Frauen, ganz in Weiß wie die anderen, einen langen Schal um den Kopf gewunden. Sie drehte sich unablässig im heiligen Tanz. Dann verstummten die Trommeln, und die Priester begannen die Liturgie zu singen. Dies war der Weihnachtsgottesdienst und der Text die Anaphern des heiligen Dioscorus. Hell und klar erklang die Stimme des Priesters durch den Raum:
»Lob sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist heute, immer und in Ewigkeit.«
Darauf der Diakon:
»Um der Gesegneten
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