Die Teppichvölker: Roman (German Edition)
richten …«
Brocando zog sein Schwert.
»Ein Jahr meines Lebens!« rief er. »Das wird er büßen!«
Snibril sah zu dem Geschöpf hinüber. Es lag jetzt still.
»Ich glaube, du kannst dem Zänker kaum mehr etwas antun«, sagte er. »Sieht schon jetzt wie ein Häufchen Elend aus. Das heißt: wie ein großer Haufen Elend.«
Brocando zögerte. »Vielleicht hast du recht. Eigentlich hat es gar keinen Sinn, sich an einem dummen Tier zu rächen. Und was das hier betrifft …« Er winkte, und seine Geste galt dem schimmernden Schatz. »Ich habe den Gefallen daran verloren. Sollen die Sachen hier liegenbleiben.« Er schniefte. »Meiner Ansicht nach eignen sich solche Dinge nur für Zänker. Obwohl, diese Halskette … Nein.«
Snibril hatte einige Gegenstände gesehen, die ihn stumm aufzufordern schienen, sie in seinem Rucksack zu verstauen. Außerdem: Brocando schien vor allem deshalb auf Schätze verzichten zu können, weil ihn zu Hause genug Reichtum erwartete. Trotzdem verzichtete der Munrung darauf, Einwände zu erheben.
Es klimperte leise, als sich der Kopf des Zänkers nach oben neigte. Snibril griff hastig nach dem Schild, doch er glitt ihm aus den Händen und rollte die Treppenstufen hinunter.
Das große Geschöpf streckte eine Pranke danach aus, drehte das Objekt … Und sah erneut sein Spiegelbild.
Zu Snibrils großer Überraschung begann der Zänker damit, leise zu gurren und zu schnurren. Einmal mehr sank er zu Boden, hielt den Schild dabei in den Vorderläufen und wiegte ihn hin und her. Und dann, mit einem letzten Klirren, starb das Wesen friedlich in einem Tempel, der vor einer Ewigkeit zu seinen Ehren erbaut worden war.
Später behaupteten Bänkelsänger und Geschichtenerzähler, den Zänker habe der Tod ereilt, als er sein Spiegelbild im Schild sah. Nun, man sollte Liedern immer mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnen. Oft kommt es bei den entsprechenden Texten nur darauf an, daß sie gut klingen. Die Balladen behaupteten, der Zänker sei durch seinen reflektierten Blick zu einer Statue erstarrt. Aber der Tod eines solchen Wesens war weitaus komplizierter. Das ist bei den meisten Dingen der Fall.
Snibril und Brocando zerrten das Geschöpf über die Stufen und begruben es unter dem Altarstein. Der Munrung erinnerte sich an Chrystobella und die anderen Tiere im Lager, nahm eine Schatulle aus dem Schatz und füllte sie mit den Tränen des Zänkers. Er wollte auch die übrigen Statuen ins Leben zurückrufen, doch der Krieger riet davon ab.
»Jene Leute haben die Zänker verehrt, heißt es«, sagte er. »Sie gehörten zu einem grausamen Volk. Sollen sie in ihrem derzeitigen Zustand bleiben. Um der Gerechtigkeit willen.«
Als sie fortritten, sagte Snibril: »Gegen eine kleine Belohnung hätte ich nichts einzuwenden. Wenn es dir recht ist.«
»Natürlich!«
»Mein Stamm braucht einen Ort, wo er für eine Weile bleiben kann. Um die Wagen zu reparieren und so weiter. Einen Ort, wo man nicht dauernd über die Schulter sehen und nach Gefahren Ausschau halten muß.«
»Kein Problem. Meine Stadt steht dir zur Verfügung. Dort wird man euch herzlich willkommen heißen.«
»Sind bei euch alle so klein wie du?« fragte Snibril, ohne vorher nachzudenken.
»Wir Deftmenen haben genau die richtige Statur «, erwiderte Brocando. »Es ist nicht unsere Schuld, wenn alle anderen Leute viel zu groß geraten sind.«
Nach einer Weile, als sie sich dem Lager der Munrungs näherten, meinte Snibril: »Weißt du, ich glaube gar nicht, daß du ein Jahr verloren hast. Wahrscheinlich verstrich gar keine Zeit für dich, während du eine Statue gewesen bist. Woraus folgt: In gewisser Weise hast du ein Jahr gewonnen. Alle anderen sind älter geworden.«
Brocando dachte darüber nach. »Bin ich trotzdem verpflichtet, dich zu belohnen?«
»Ich glaube schon«, entgegnete Snibril.
»Na gut.«
S ie trafen gerade rechtzeitig genug im Lager ein, um dem Einsatz einer Suchgruppe vorzubeugen. Brocando stand sofort im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, was ihm offenbar sehr gefiel. Außerdem schien er daran gewöhnt zu sein. Snibril war mehr oder weniger vergessen. Mehr oder weniger …
»Wo bist du gewesen?« fragte Pismire mit einer Mischung aus Erleichterung und Ärger. »Einfach so fortzugehen! Weißt du denn nicht, daß sich da draußen Moule herumtreiben?«
»Tut mir leid«, erwiderte Snibril. »Die Ereignisse, äh, überstürzten sich.«
»Nun, jetzt spielt's ohnehin keine Rolle mehr«, brummte der
Weitere Kostenlose Bücher