Die Teppichvölker: Roman (German Edition)
kamen … Er lud sie in die Stadt ein.«
»Der Kerl muß den Verstand verloren haben!« entfuhr es Brocando.
»Er glaubte, sie als Söldner in seine Dienste nehmen zu können – sie sollten für ihn kämpfen. Nun, sie kämpften tatsächlich. Es heißt , dein Bruder sei noch immer König, aber seit einer ganzen Weile hat ihn niemand mehr gesehen. Die Moule kümmern sich ums Regieren. Viele Leute ergriffen die Flucht, und die anderen sind Sklaven, mehr oder weniger. Bauen Schotter ab oder müssen auf den Feldern arbeiten und so.«
»Die Moule erwecken nicht den Eindruck, als seien sie an Gemüse interessiert«, sagte Snibril.
»Sie essen Fleisch.«
Pismire saß mit dem Rücken an einem Wagenrad und hatte sich in eine Decke gehüllt – das ständige Reisen vertrug er nicht besonders gut. Die anderen hatten ihn fast vergessen.
Sein Hinweis stimmte die übrigen Männer sehr nachdenklich. Es lag nicht nur allein an den Worten – alle aßen Fleisch. Aber der Schamane verlieh ihnen einen besonderen Klang, der vermuten ließ, daß es sich in diesem Fall nicht um gewöhnliches Fleisch handelte …
Brocando erbleichte. »Soll das heißen …?«
»Die Moule essen Tiere«, sagte Pismire, und in seinem Gesicht zeigte sich ein Kummer, den Snibril dort noch nie zuvor gesehen hatte. »Unglücklicherweise halten sie alle Nicht-Moule für Tiere. Äh. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll … Wißt ihr, was das Wort ›Moul‹ in der Moul-Sprache bedeutet? Hmm? Man kann es mit ›wahre Menschen‹ übersetzen.«
Das sorgte für weitere Betroffenheit.
»Wir greifen heute abend an«, knurrte Brocando entschlossen. »Ich lasse nicht zu, daß jemand meine Untertanen verspeist.«
»Äh«, sagte Glurk.
»Ja«, bestätigte Bane. »Genau. Nicht einmal fünftausend Soldaten könnten Wagnis erobern.«
»Stimmt«, brummte Brocando. »Wir …«
»Äh«, wiederholte Glurk.
»Ja?« fragte der Zwerg.
Ein Schatten der Sorge senkte sich auf die Miene des Stammesoberhaupts herab. »Ich habe eben ein- oder zweimal das Wörtchen ›wir‹ gehört, und ich glaube, in diesem Zusammenhang sollten wir etwas klären. Ich möchte niemandem zu nahe treten, aber … Als Belohnung für deine Rettung erlaubst du uns nun, eine Stadt anzugreifen, die nicht einmal von einem großen Heer aus Dumii-Soldaten erobert werden konnte? Außerdem soll mein Stamm gegen eine Moul-Horde kämpfen? Wir Munrungs haben jetzt kein Heim mehr, und du erwartest von uns, daß wir deine Stadt für dich retten? Habe ich das alles richtig verstanden?«
»Guter Mann,« erwiderte Brocando, »ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann. Ich brauche ein halbes Dutzend unerschrockene Männer.«
»Ich kann dir einen Verblüfften anbieten«, sagte Glurk.
»Wir müssen ihm helfen«, warf Snibril ein. »Der Stamm ist müde und hat es satt, dauernd wegzulaufen. Darüber hinaus: Was geschieht, wenn wir jetzt nichts unternehmen? Früher oder später müssen wir gegen die Moule kämpfen. Warum nicht hier und jetzt?«
»Wir sind dem Feind zahlenmäßig weit unterlegen«, wandte Bane ein. »Und ihr seid keine Soldaten.«
»Nein«, entgegnete Glurk, »wir sind Jäger.«
»Bravo!« rief Brocando.
Glurk gab Snibril einen Stoß mit dem Ellbogen. »Haben wir uns gerade freiwillig bereit erklärt, praktisch in den sicheren Tod zu gehen?«
»Ich glaube schon.«
»Das Königsein ist erstaunlich«, meinte Glurk. »Wenn wir diese Sache überleben, probiere ich's vielleicht aus.«
Die Nacht begann. Ein blauer Dachs brach früh zur Jagd auf, sah sich plötzlich einer langen Reihe von Kriegern und Jägern gegenüber. Hastig watschelte er davon.
Die Deftmenen flüsterten miteinander. Einige von ihnen wollten singen, während sie in die Schlacht zogen – so verlangte es die Tradition. Brocando wies immer wieder darauf hin, daß sie diesmal heimlich in den Kampf zogen, doch einige unerschütterliche Traditionalisten bestanden auf ihrem Recht, Friedenslieder zu singen. Sie meinten, auf diese Weise gelänge es bestimmt, den Feind zu verwirren. Schließlich setzte sich Brocando durch, indem er seinen Status als König nutzte und damit drohte, jeden umzubringen, der sich ihm nicht fügte. Glurk war sehr beeindruckt.
Als Snibril glaubte, bereits seit einer Ewigkeit im dunklen Teppich unterwegs zu sein, erreichten sie wieder die Straße. Weiter vorn, im flackernden Schein von Fackeln, erhoben sich die Mauern der Stadt Wagnis.
D ie Schlauen hatten Wagnis erbaut. Sie holten
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