Die Teppichvölker: Roman (German Edition)
große Zuverlässigkeit aus, vor allem dann, wenn es um die Steuern ging.
Als er an jenem Abend zusammen mit seinem Bruder heimwärts marschierte, behielt er diese Gedanken für sich. Snibril schnaufte und stützte den schweren Stock auf die andere Schulter. Er war kleiner als sein Bruder und rechnete damit, noch kleiner zu werden, wenn er der Last weiterhin ausgesetzt blieb.
»Ich fühle mich so, als hätte ich mir die Füße abgelaufen«, klagte er. »Was hältst du davon, wenn wir rasten? Fünf Minuten können wir bestimmt erübrigen. Außerdem: Ich habe Kopfschmerzen …«
»Na schön«, brummte Glurk, »fünf Minuten, länger nicht. Es wird dunkel.«
Sie hatten die Dumii-Straße erreicht, und im Norden, jetzt nicht mehr weit entfernt, erwarteten sie Sicherheit und ein leckeres Abendessen. Die beiden Brüder setzten sich.
Glurk vergeudete nie Zeit, griff nach einem geeigneten Staubkorn und begann damit, die Spitze seines Speers zu schärfen. Auch er blickte mehrmals den Weg entlang, der im verblassenden Licht schimmerte. Die Straße reichte nach Westen und bildete eine glühende Linie in der Dunkelheit. Zwischen den Haaren rechts und links davon verdichteten sich die Schatten. Der Pfad faszinierte Snibril, seit er von Vater Grimm gehört hatte, daß alle Wege nach Wehr führten. Also erstreckte sich nur diese Straße zwischen den Portalen des Palastes und dem Eingang seiner Hütte, dachte er. Und dann die vielen Abzweigungen … Wenn man ihnen folgte, mochte man überallhin gelangen. Und wenn man sich am Straßenrand niederließ und wartete … Dann sah man sicher viele interessante Leute. Alles steht mit allem anderen in Verbindung, meinte Pismire.
Snibril stützte den Kopf auf die Hände. Das Pochen hinter der Stirn wurde immer schlimmer. Irgend etwas schien ihm langsam das Gehirn zu zerquetschen.
Auch der Teppich hatte sich heute irgendwie verkehrt angefühlt. Bei der Jagd ergaben sich gewisse Schwierigkeiten, weil die meisten Tiere verschwunden waren. Und der Staub zwischen den Haaren ruhte, rührte sich nicht in der wie erstarrten Luft.
»Die Sache gefällt mir nicht«, sagte Clurk. »Seit Tagen ist niemand mehr auf der Straße unterwegs gewesen.«
Er stand auf und griff nach dem langen Stock.
Snibril stöhnte und beschloß, Pismire um eine seiner Tabletten zu bitten.
Ein Schatten erzitterte hoch oben in den Haaren und sauste nach Süden.
Ein Geräusch erklang, so laut, daß es nicht nur in den Ohren vibrierte, sondern im ganzen Körper, und etwas traf den Teppich mit schrecklicher Plötzlichkeit. Die beiden Brüder landeten im Staub, und die Haare um sie herum neigten sich in einem jähen Sturm.
Glurk streckte die Hand nach der rauhen Borke eines Haars aus und stand auf, stemmte sich den Böen entgegen. Weit oben knickte die Spitze eines Haars, schlug hin und her. Überall wogte und wallte es. Lautes Knirschen gesellte sich dem Heulen hinzu. Es stammte von großen Felsbrocken, die vom Wind getrieben durch den Haarwald walzten.
Glurk hielt sich mit der einen Hand fest, und mit der anderen zog er seinen Bruder in Sicherheit. Sie duckten sich, während das Tosen andauerte; Bestürzung zeichnete sich in ihren Mienen ab.
Von einem Augenblick zum anderen zog der Sturm nach Süden weiter und wich stummer Dunkelheit.
Eine Art laute Stille folgte, brachte Verblüffung.
Snibril blinzelte. Was auch immer gerade geschehen war – es hatte ihn von den Kopfschmerzen befreit. In seinen Ohren rauschte es.
Kurze Zeit später hörte er das Pochen von Hufen auf der Straße.
Das Klacken wurde zu schnell lauter. Es deutete auf ein außer Kontrolle geratenes Pferd hin.
Als es aus der Nacht kam … Ein Reiter fehlte. Das Roß hatte die Ohren angelegt, und Panik flackerte ihm in den Augen. Schweiß glänzte auf dem weißen Fell, und die losen Zügel schwangen hin und her.
Snibril sprang vor. Als das Pferd an ihm vorbeidonnerte, griff er nach den Zügeln, sprintete zwei Sekunden lang neben den hämmernden Hufen und schwang sich in den Sattel. Er fand nie heraus, warum er sich auf diese Weise verhielt. Vielleicht lag es an genauer Beobachtung und präziser Festsetzung von Zielen. Wie dem auch sei: Er konnte sich einfach nicht vorstellen, auf eine andere Weise zu handeln.
Sie ritten ins Dorf. Das Pferd hatte sich inzwischen beruhigt, trug die beiden Brüder und zog den Snarg.
An einigen Stellen zeigten sich große Löcher in der Palisade, und Felsbrocken hatten mehrere Hütten zerschmettert. Glurk sah in
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