Die Terranauten 016 - Gestrandet auf Rorqual
berichtete er, wobei sich auf seiner Stirn eine Kummerfalte bildete, kämen sehr selten nach O’Broinsland; Padraig, sein Bruder, sei leider bei den anderen Familien, die das Scharlachmeer beherrschten, nicht sonderlich gut gelitten. »Er ist ein Heißsporn«, fügte Herr Juston bedauernd hinzu, »und handelt manchmal lieber, bevor er über die Konsequenzen nachdenkt. Die Küsten von O’Broinsland gelten als unsicher, weil Padraig allen Freien erlaubt hat, diejenigen, die an unseren Ufern stranden, zu Sklaven zu nehmen.« Er seufzte. »Aber sagt mir, Sir David: aus welchem Land kommt ihr? Daß ihr ein Mann von Kultur seid, habe ich sofort gesehen.«
David hatte sich bereits während der letzten Stunde einiges zurechtgelegt, denn es war unausweichlich gewesen, daß er irgendwann eine Frage dieser Art würde beantworten müssen. Da er nicht sehr viel über Rorqual wußte, und nur hier und da ein wenig aufgeschnappt hatte, versuchte er seine Erklärung so vage wie möglich zu halten.
»Ich entstamme einem Geschlecht, daß noch nicht lange auf Rorqual ansässig ist«, begann er. »Ich bin ein Sternenfahrer und habe bisher im hohen Norden in der Nähe der Stadt Aliruth gelebt, wo meine Familie Segelschiffe baut. Ich selbst bin leider kein Seemann, sondern führe die Bücher.«
»Ah!« sagte Herr Justin. Er blieb stehen und schenkte David einen bewundernden Blick. »Von Sternen habe ich schon gehört! Es ist mein größter Traum, selbst einmal über Rorqual hinwegzufliegen, und ich habe auch schon Anstrengungen in dieser Hinsicht unternommen. Mein Bruder ist leider der Ansicht, daß ich damit meine Zeit verschwende.« Beim letzten Satz war seine Stimme ziemlich leise geworden. »Könnt Ihr mich lehren, wie man eine Flugmaschine baut?«
Während sie den Schritt wieder aufnahmen und den vorauseilenden Vasallen folgten, sagte David: »Ich könnte es, wenn Ihr die richtigen Materialien heranschaffen könntet. Aber da ist noch mein Gelübde …« Er wußte nicht recht, wie er sich verhalten sollte und kam sich vor, als stecke er bis zum Hals in einem Sumpf. Einerseits waren da Zandra und Farrell: erreichte er sie nicht innerhalb von drei Tagen, würde er sie vielleicht nicht wiedersehen. Ein weiteres. Problem waren Collyn und die anderen auf der Nordwind zurückgebliebenen. Gut, er kannte das Ziel der Orson-Familie. Sie wollten nach Norden, in das Erzgebiet. Aber wie sollte er seine Leute wieder zusammenbringen, wenn er sich jetzt darauf konzentrierte, einem möglicherweise verkannten Genie beizustehen, der – wenn er dessen Aussagen richtig deutete – außerdem über einen ungemütlichen Bruder verfügte, dem die höhere Wissenschaft offenbar wenig bedeutete?
Die Lage war verzwickt, David wußte das. Andererseits steckte er selbst in der Klemme. Wenn der Grüne Flieger sich die Freiheit nahm und zu Debussy zurückkehrte, war das Leben seiner Freunde in Gefahr. Man hatte etwas gegen ihn in der Hand.
»Hat Euer Gelübde etwas mit dieser Kette zu tun?« fragte Justin vorsichtig.
David griff den Faden dankbar auf. Er sah sich mit Verschwörermiene um und sagte, indem er seine Stimme zu einem Flüstern herabsenkte: »Ihr seid ein Mann des Wissens, Herr Justin. Ich weiß nicht, ob ich jetzt einen Fehler begehe, aber Ihr erweckt in mir den Eindruck, als seiet Ihr der einzige Mensch, dem ich mein Vertrauen schenken kann.«
»Sprecht«, gab Justin zurück. »Ich verspreche Euch, Euer Geheimnis vor jedem Menschen zu bewahren. Bürden lassen sich leichter tragen, wenn man sie mit jemandem teilt. Wenn Ihr mir beisteht, will ich alles in meinen Kräften stehende tun, Euch zu helfen, Euer Gelübde zu erfüllen.«
In diesem Moment sah sich der Grüne Flieger um. Er hatte offenbar inzwischen eingesehen, daß es zwecklos für ihn war, das Spiel noch länger mitzuspielen. Ehe die Vasallen Justins sich versahen, faltete er seine Schwingen auseinander, nahm einen Anlauf und stieg auf. Die geharnischten Krieger schrien auf und spritzten nach allen Seiten auseinander. Offenbar war es für sie ein Werk des Satans, daß ein Wesen mit zwei Armen und Beinen, auch wenn es gefiedert war, sich so einfach in die Lüfte erheben konnte.
Die beiden restlichen Leute Debussys, denen jetzt klar wurde, daß Vasik sie allein und einem offensichtlichen Sklavendasein überließ, hoben drohend die Fäuste und schrien dem Flüchtenden wüste Beschimpfungen nach. Vasik störte sich nicht daran. Er stieg höher und höher, außer Schußweite der Armbrüste
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