Die Terranauten 034 - Der Renegat
abgehört, wurde jede Bewegung von unsichtbaren Kameras beobachtet. Von vornherein waren sie sich alle darüber im klaren gewesen. Nur sie hatte im Augenblick nicht daran gedacht. Zum Glück war es gerade noch einmal gutgegangen. Es zeigte sich nur zu deutlich, daß diese Loge nicht aus erfahrenen Terranauten bestand.
Um den künstlichen Augen der Garden keinen Anlaß zu Zweifeln zu geben, war es wohl sinnvoll, die Liebesszene noch ein bißchen weiter auszuspielen. Larissa tat dies, indem sie sich ganz eng an Gunther drückte, ihren Mund wieder dem seinen näherte und ihn mit Leidenschaft küßte. Hingebungsvoll schloß sie dabei die Augen.
Und sie konnte wirklich nicht sagen, daß sie es besondere Anstrengungen kostete, überaus überzeugend zu wirken, zumal Gunther voll und ganz auf sie einging.
Als sich die beiden schließlich wieder voneinander lösten, spürte Larissa sofort den wütenden Blick Arianes auf sich. Sie begegnete diesem Blick mit einem Lächeln. Nur zu gut wußte sie, daß die Wut ihrer Treiberschwester keineswegs ihrem Versprecher galt. Ariane terWilson war ganz einfach eifersüchtig, denn auch sie sah in Gunther in erster Linie den begehrenswerten Mann und erst dann den Logenbruder.
»Würdet ihr diese Darbietung vielleicht jetzt beenden?« fragte Ariane spitz. »Es gibt nämlich Menschen, die der Ansicht sind, daß ein Liebesakt nicht unbedingt vor Zuschauern stattfinden muß!«
Sie kräuselte die Mundwinkel. »Vielleicht könnt ihr die Grauen dazu bewegen, euch eine Zelle für zwei Personen zuzuweisen!« setzte sie dann noch hinzu.
Bevor Larissa Wong zu einer Entgegnung ansetzen konnte, schaltete sich Valentin Claudius ein. Mit gesetzten, beinahe väterlichen Worten gemahnte er zur Friedfertigkeit, die dann auch wenig später wieder einkehrte.
An der weiterhin zweifelhaften Situation, in der sie sich alle befanden, änderte sich dadurch allerdings nichts.
*
Das Wiedersehen mit Fedor Temudschin war Argan Pronk eine echte Freude.
Auf den ersten Blick wirkte der Präsident von Tamerlan nicht gerade besonders einnehmend. Er war ein schlanker, drahtiger Mann, der sich, obwohl er nicht mehr der jüngste war, geschmeidig wie ein Raubtier bewegte. Seine mongolischen Vorfahren konnte er nicht verleugnen. Und er wollte das auch gar nicht, denn sonst hätte er kaum den dünn ausrasierten Oberlippenbart getragen, dessen Enden bis zum Kinn herunterhingen. Er machte einen irgendwie düsteren Eindruck. So düster wie einer jener Anführer mordlustiger Reiterhorden, die in längst vergangenen Zeiten die Erde mit Angst und Schrecken überzogen hatten. Argan Pronk wußte jedoch, daß sich hinter diesem martialischen Äußeren ein aufrichtiger, wohlmeinender Charakter verbarg, für den so hehre Begriffe wie Vertrauen, Treue und Pflichterfüllung keine leeren Worte waren. Er hatte sich mit Temudschin in Ultima Thule auf Anhieb verstanden und festgestellt, daß in ihrer Brust zwei verwandte Herzen schlugen.
Argan Pronk und die Mitglieder seiner Delegation trafen mit dem tamerlanischen Präsidenten in dessen Regierungspalast zusammen – in einem traditionell eingerichteten Konferenzraum.
Von Anfang an war dem Gouverneur von Aqua jedoch klar, daß bei dieser ersten Konferenz nicht allzuviel herauskommen würde. Die Männer, die auf tamerlanischer Seite an der Besprechung teilnahmen, ließen eine solche Prognose berechtigt erscheinen. Temudschin hatte bei seiner Vorstellung keinen Zweifel daran gelassen, daß diese Männer mit einer einzigen Ausnahme Vertreter der großen Konzerne waren. Vertrauliche Gespräche schieden also völlig aus.
Die pessimistischen Erwartungen bestätigten sich auch bald. Das Interesse der Konzernherren an direkten Wirtschaftsverbindungen zwischen Aqua und Tamerlan war gering, verschwindend gering sogar. Die Männer waren natürlich der Ansicht, daß der Handel zwischen den Welten ureigenste Angelegenheit des Konzils und der Konzerne selbst war. Die gegenwärtigen Engpässe im Schiffsverkehr taten sie als vorübergehend ab. Wenn der Bau der neuen Kaiserkraft-Schiffe in den terranischen Werften erst einmal auf Hochtouren lief, würde sich alles wieder einrenken. Das sagten sie und meinten sie wohl auch. Ihr Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit des Systems, das sie groß und mächtig gemacht hatte, war auch angesichts der offenkundigen Krise ungebrochen. Sie drückten ihre einhellige Verwunderung darüber aus, daß die Konzernleitungen auf Aqua die Dinge nicht genauso
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