Die Terranauten 069 - Die Bio-Invasion
verlassen, da riß er seinen breiten Rachen auf. Ein Lauffresser ernährte sich von in der Luft schwebenden Mikroorganismen.
Nach Westen.
Der untergehenden Sonne entgegen.
Reijonen fühlte fast so etwas wie Wehmut. Eine lange, beschwerliche Zeit lag vor ihm. Aber auch eine Zeit, die von einer Vielzahl neuer Erfahrungen erfüllt war.
Und während die Beine des Lauffressers in rasendem Stakkato über den Boden trommelten, sang Dihs Reijonen das Lied seiner Einsgemeinschaft.
*
»Achtung!« rief Diskin Myers seinen Begleitern zu. »Wir haben die Nullposition gleich erreicht!« Seine Stimme ging in dem allgemeinen Tumult des Demonstrationszuges, der sich durch die Straßen Doriamans wälzte, beinahe unter. Cynthia Dyniey und Viveca Herrn nickten aber und hielten sich in seiner Nähe. Die größte Gefahr bestand darin, daß sie sich in diesem Getümmel verloren.
Sie wurden an geschlossenen Läden und Handelskontoren vorbeigeschoben und -gedrängt. In Seitengassen der Hauptstraße türmten sich Müllberge auf. Fenster waren mit Brettern vernagelt.
»Aufhebung des Notstands!« forderten achtzigtausend Menschen. »Aufhebung der Lebensmittelrationierung!«
»Arbeit für alle!«
»Wir wollen unsere Emotioblocker für die Langnacht!«
Das war nicht der unwichtigste Punkt, dachte Diskin, während er sich im Strom der Menschen mittreiben ließ. Die Sonne Tordrig stand bereits bedenklich nahe dem westlichen Horizont. Noch drei oder vier Standardtage, und die Langnacht begann. Drüben in Ashram mußte sie bereits begonnen haben. Was, dachte er, mag hier geschehen, wenn während der Langnacht in Doriaman keine Emotioblocker zur Verhütung von meteorotropen Krankheiten ausgegeben werden und zudem die Lebensmittelrationierung weiterverschärft wird? Die Sicherheitsbehörden würden viel zu tun haben.
Gut, fügte er in Gedanken hinzu, daß sie vorgesorgt hatten. Ein kleiner Vorrat von Emotioblockern. Und bald ein größerer Vorrat an Lebensmitteln.
In der Ferne ertönten Sirenen und das Sirren von MHD-Generatoren, als vom Regierungstrakt aus die Planetenpolizei mit einem Geschwader Einsatzgleiter näher rückte.
»Diese Demonstration ist untersagt!« ertönte es aus den Lautsprechern der Gleiter, die dicht über der aufgebrachten Menge schwebten. »Der Notstand ist ausgerufen worden. Alle Demonstrationsteilnehmer machen sich strafbar.«
»Nieder mit der Po-li-zei!« ertönte es im Chor. Steine flogen empor. Aber sie trafen die Gleiter nicht, kehrten, der Schwerkraft folgend, wieder zurück und führten zu schweren Verletzungen bei anderen Demonstranten.
Viveca hatte sich zu Diskin durchgeboxt. »Es wird kritisch!« rief sie ihm ins Ohr. »Die Polizei wird gleich Schocker oder schwerere Waffen einsetzen. Wir könnten Pech haben.«
Dummes Volk! dachte Myers angewidert und spreizte die Ellenbogen, um etwas mehr Bewegungsfreiheit zu erhalten. Veranstalten Demonstrationen, die sowieso nichts bringen. Eine schwere Zeit liegt vor uns. Und nur der Klügste und Stärkste wird sie überleben. Nur der, der Vorsorge getroffen hat. Wie ich.
Rasch sah er sich um. Sie waren inzwischen dem Ende des Mainboulevards von Doriaman nahe gekommen. Etwa hundert Meter voraus mündete er in einen großflächigen Platz, in dessen Zentrum sich wiederum ein kleiner Park befand. Ein Park, der im vergangenen halben Jahr zunehmend verwildert war, weil die Mittel für die Pflege gefehlt hatten.
Es geht bergab, dachte Diskin. Rasant. Und nichts kann daran noch etwas ändern.
Ein zweiter Blick zur Seite. Ja, dort vom kam bereits die kleine, schmale und dunkle Gasse.
»Viveca! Cynthia!«
Die beiden jungen Frauen reagierten sofort, und zusammen mit ihnen boxte er sich zum rechtsseitigen Rand des Demonstrationszuges. Weiter vorn ertönte das Zischen von Hochenergieschockern. Mehr Steine flogen, und hier und da blitzten sogar die grellen Strahlen von Handlasern auf. Jetzt ging es richtig los.
Eine halbe Minute später tauchten sie in den Schatten der Seitengasse. Die zu beiden Seiten hoch aufragenden Mauern der Gebäude waren aus auf Maranyn hergestelltem Backstein. Den Baustoff Protop hatten sich nur die Begüterten leisten können, denn er mußte importiert werden. Aber auch damit, dachte Diskin, während er die bereits vorbereitete Abdeckplatte öffnete, die in das Kanalisationssystem hinabführte, aber auch damit ist es jetzt vorbei. Es wird nur der überleben, der ausreichend versorgt ist …
»Schnell! Runter!«
Cynthia und Viveca
Weitere Kostenlose Bücher