Die Terranauten 070 - Das grüne Paradies
rollte sich geistesgegenwärtig zur Seite. Der hochgewölbte Rand der Seerosenqualle neigte sich. Die Psychomechanikerin suchte sofort nach einem Halt, doch ihre Finger rutschten an dem glitschigen Material ab. Eine Sekunde später stürzte sie in kaltes Wasser.
Der Schock brachte sie wieder zu Bewußtsein. Sie schnappte nach Luft, als sie wieder an die Oberfläche kam, und stellte erschrocken fest, daß die Seerosenquallen rasch davontrieben. Ein zweiter Schrei, und unmittelbar darauf fiel ein weiterer Körper in die ruhig dahinrollenden Wellen. Nadine. Myra winkelte die Arme an und schwamm rasch auf die Mittlerin zu. Sie packte die schlaffen Arme, hob den Köpf übers Wasser. Nadine prustete, kam langsam wieder zu Sinnen. An ihrem Hals zeigte sich ein roter Fleck.
»Die … Quallen … Wir müssen …«
Myra versuchte, sich zu konzentrieren. Auch sie war eine Mittlerin. Sie tastete hinaus und ging daran, einen Kontakt zu den Rudimentärbewußtseinen der Seerosenquallen herzustellen. Negativ. Sie vernahm nur schwache Impulse, die ohne Zusammenhang waren.
Dann versiegten auch die.
Um sie herum war nur Wasser, Hunderte von Kilometern weit.
Und ihre Kräfte ließen langsam nach.
*
Duryea Ankrum atmete schwer, als sie wieder in die Wirklichkeit zurückfand. Der Assistent sah sie besorgt an, die Injektionspistole einsatzbereit in der Hand.
»Nichts«, gab die Psychomechanikerin von sich. »Ich habe jetzt alle Stummen überprüft. Negativ. Das Teil-Ich Pascal Flanders ist in einem anderen Geist gefangen. Nicht in einem der Egos der Stummen, die Miranda und Pascal ausgeschaltet haben.«
»Zwei sind tot«, erinnerte der Assistent und blickte über die Liegen hinweg, deren Polster die erstarrten Körper der Stummen trugen. »Zwei weitere werden vermißt.«
Duryea nickte widerstrebend. Sie wußte, was das bedeutete. Möglicherweise war Pascals Teil-Ich in einem der Egos der beiden Toten gefangen gewesen. Wenn das zutraf, hatte er keine Chance mehr. Oder aber in einem Bewußtsein der beiden Vermißten. In diesem Fall …
»Ich muß es mit Pascal selbst versuchen«, brachte sie erschöpft hervor. Sie brauchte dringend eine Erholungspause. Seit wie vielen Stunden hatte sie jetzt schon nicht mehr geschlafen? Zwanzig? Dreißig? Oder mehr?
Ohne auf eine Antwort des Assistenten zu warten, verließ sie den Behandlungsraum, schritt den Korridor entlang und öffnete ein paar Meter weiter eine der vielen in einem nüchternen Weiß gehaltenen Türen. Dieser Raum war kleiner, und hier hielt sich nur ein einziger Patient auf. Ein Kollege, ein Psychomechaniker wie sie – Pascal Flander. Er war an eine vollautomatische Maschine angeschlossen, die dazu in der Lage war, einen Großteil der innerorganischen Funktionen zu übernehmen.
»Ich rate dringend davon ab«, warf der Assistent ein, der ihr gefolgt war. »Bei Pascal haben bereits erste Körperzerfallserscheinungen eingesetzt. Wir wissen nicht einmal ansatzweise, wie lange sein Teil-Ich schon in einer fremden Sphäre gefangen ist. Sicher Stunden, vielleicht einen ganzen Tag. Wollen Sie das Risiko eingehen, ebenfalls nicht mehr herauszukommen? Sie wissen, daß Sie davongeschleudert werden und in die gleiche mentale Falle geraten können wie auch Pascal. Wir haben, keine Ahnung, mit wem er Kontakt aufgenommen hatte, bevor …«
Duryea achtete gar nicht auf seine Worte, sondern ließ sich auf der zweiten Liege des Raumes nieder. »Wollen Sie Pascal einfach so abschreiben?« fragte sie. Ihre Stimme klang schärfer und zynischer, als eigentlich von ihr beabsichtigt.
»In Ordnung, in Ordnung. Es ist Ihr Leben, nicht meins.«
Duryea Ankrum hörte die Worte schon gar nicht mehr. Sie hatte sich transferiert.
Erneut verblaßte die Realität und machte dem Privatuniversum einer fremden Psyche Platz. Alles war in Aufruhr, das war der erste Eindruck Duryeas. Es gelang ihr nicht, sich in einer der vielen mentalen Scheinwelten zu materialisieren. Dichte Nebel trieben vorbei, und manchmal erhaschte sie durch die wallenden Schleier einen Blick auf etwas, das nach etwas Festem, Stabilem aussah. Die Eindrücke schwanden jedoch rasch dahin.
Auflösung, wohin sie auch trieb. Kein klarer und deutlicher Zusammenhalt mehr. Pascal Flander starb einen langsamen, teilweisen Tod. Und lange würde es bis zur endgültigen Zerstörung der Identität nicht mehr dauern.
Duryea wußte, daß sie nicht viel Zeit hatte. Der Körper zerfiel, und dieser Zerfallsprozeß würde sich bald rasant
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