Die Terranauten 072 - Das Erbe im Eis
wirklich bin, was Erbe der Macht zu bedeuten hat.«
»Ist Llewellyn etwa frech, geworden?« erkundigte sich Narda spitz. »Na, dem werd’ ich’s zeigen. Inzwischen habe ich eine Menge gelernt …«
David sah sie aufmerksam an. »Deine Ausbildung … Um was geht es dabei eigentlich?«
»Ging. Sie ist nämlich zu Ende.« Nayala und Narda tauschten einen geheimnisvollen und gleichzeitig verschmitzten Blick. »Um was es ging, wird natürlich nicht verraten. Das ist Sache der Drachenhexen, und jetzt bin ich eine von ihnen.« Sie stieß einen Pfiff aus, und einer der beiden Drachen trippelte näher und rieb seine Schuppen liebevoll an ihrer Seite.
David war in Gedanken jedoch schon wieder ganz woanders. »Ich mußte es tun, versteht ihr? Es hängt zuviel davon ab.«
Nardas Gesichtsausdruck änderte sich innerhalb eines Sekundenbruchteils. Aus einem zu Scherzen aufgelegten Mädchen wurde eine ernste junge Frau. Sie hat sich verändert, dachte David. Aber nicht zu ihrem Nachteil.
»Ich begleite dich«, erklärte sie entschieden. »Meine Ausbildung ist zu Ende. Und du brauchst jemanden auf der Erde, der dir beistehen kann. Mit PSI meine ich.« Dabei blickte sie kurz Mandorla an. »Nayala?«
»Ich ebenfalls.«
Asen-Ger brummte etwas Unverständliches. »Dann will ich mich ebenfalls nicht ausschließen. Aber ich muß meiner Loge in Transit-City noch Bescheid geben. Sie werden auch ohne mich nach Aqua kommen und dort die neuen Misteln abliefern können.«
Vier Stunden später starteten sie an Bord des Orkanseglers zur Erde.
*
… gibt es über das Buch Myriam die verschiedensten Vermutungen. Sicher ist, daß dieses Buch am Anfang oder gegen Mitte des Jahres 2475 entstand und in erster Linie einen Forschungsbericht über ihren Selbstversuch enthielt, durch den ihr am 31.12.2475 geborener Sohn David terGorden zum Erben der Macht wurde. Bis Mitte des Jahres 2503 waren nur Gerüchte über dieses Buch und seinen Inhalt im Umlauf, Gerüchte zudem, die in den neunziger Jahren des fünfundzwanzigsten Jahrhunderts den unterdrückten Treibern einen Messias versprachen. Wie diese Gerüchte in Umlauf kamen, ist unbekannt. Unbekannt ist ebenfalls, wie die Legende vom Erben der Macht sternenweit bekanntwerden konnte. Es stellt sich daher die Frage, ob Myriam tatsächlich wissen konnte, was in David schlief und wer – oder was – er wirklich war.
Anzunehmen ist sicherlich, daß es sich beim Buch Myriam nicht um ein Buch im eigentlichen Sinne handelte. Wahrscheinlich war es eine Aufzeichnung irgendeiner Art, die in der Sage zum »Buch« wurde, um dem mystischen Gemüt der Treiber der Ersten Ära zu genügen. Weitgehend gesichert ist jedoch eine Erkenntnis: Myriam hat nach ihrem Selbstversuch und bis zur Geburt Davids, die sie nicht überlebte, Ultima Thule und den Palast Growan terGordens nicht mehr verlassen. In welcher Form auch immer sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen über den Erben der Macht aufzeichnete, der tatsächliche Bericht mußte in Ultima Thule verblieben sein …
(Aus: Der Erbe der Macht – Historische Betrachtungen, Neu-Sarym, 3017 A.D.)
*
Von außen sah das Gebäude eher unscheinbar aus – ein massiver, fünfzackiger Stern aus Protop.
Die beiden Männer, die mit dem Schatten einer Nische verschmolzen waren, blickten noch einmal kurz auf die Anzeige ihres Instruments. Dann nickten sie sich zu.
»Hier ist es.«
Der Eingang bestand aus einer mehrfach gezackten Öffnung aus intervalldestabilisiertem Halbtransparentprotop. Dahinter war nur milchiger Schein.
Ein letzter Blick in die Runde. In den Flugkorridoren Sofias verkehrten um diese späte Stunde – und in diesem relativ entlegenen Außenbezirk – nur wenige Gleiter. Zwischen Lücken in den Wolkenbänken über ihnen funkelten Sterne.
»Also los!«
Automatisch verlor das Protop des Eingangs seine Konsistenz, als der Kleinere der beiden einen Sensor auf einem zweiten Gerät berührte. Entferntes Stimmengewirr drang an seine Ohren. Der sich vor ihnen erstreckende Gang war nur unvollständig beleuchtet. Ein weiterer Tastendruck. Die Konturen der beiden Männer verschwammen. Aus den beiden schmächtigen, mehr als siebzig Jahre alten Brüdern – Profis auf ihrem Gebiet – wurden stämmige, fast bullige Gestalten mit bloßen Oberkörpern. Leuchttätowierungen spiegelten sich auf den so zur Schau gestellten Muskeln. Die vorher injizierten Blut-Lumineszensoren sorgten dafür, daß sich diese Farb- und Bildkompositionen ständig
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