Die Terranauten 074 - Yggdrasils Vermächtnis
Überlegungen angelangt, wende ich mich wieder dem irdischen Leben zu – diesmal unter anderen Voraussetzungen. Ich sehe im irdischen Leben nicht nur eine Mißgeburt, sondern eine legitime Manifestation von Leben einer anderen Art – einer »zeitgemäßen« Art.
Obwohl darin der Keim zum neuen Untergang liegt!
Ja, ich kann das irdische Leben nicht verändern, denn dann müßte ich es zerstören und neu – gesteuert – entstehen lassen, ein Gewaltakt, zu dem ich niemals fähig wäre. Aber ich kann etwas anderes tun: meine Erkenntnisse über die Zusammenhänge interpretieren und beeinflussend wirken. Ganz dezent muß das geschehen. Ich darf nicht bevormunden, weil es meiner Natur widerspricht. Aber ich kann Alternativen aufzeigen.
Und das wird zu gegebener Zeit die entsprechende Wirkung haben!
*
Ich muß einen neuen Begriff prägen, denn das, was ich festgestellt habe, bedarf dessen: Gewalt-Vernunft.
Es ist die Gewaltvernunft, die in einem bestimmten tierischen Zweig der Entwicklung entsteht: eine Rasse, die beginnt, sich über die anderen Tiere zu erheben. Meine Erinnerungen an fatale Mißverständnisse zwischen Kangrahs und Hütern verknüpfen sich mit den aggressiven Gedanken dieser neuen Rasse. Es sind Menschen mit Fragmenten, ja, bloßen Ahnungen einer beginnenden Zivilisation auf der Basis der Gewaltvernunft!
Für mich sind sowohl Kangrahs als auch Hüter kaum mehr als nur Begriffe. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, was es mit diesen Wesen auf sich hatte. Sie waren einfach zu verschieden von mir und meiner Denkweise.
Und jetzt sehe ich diese neue Rasse der Menschen und weiß, daß sie in sich die Veranlagung beider längst vergangener Rassen in sich tragen. Gewiß sind sie keine Ausnahme in diesem Universum nach dem Urknall, aber für mich sind sie dennoch etwas Besonderes: Weil ich Zeuge ihrer Entstehung bin! Es verbindet mich mit ihnen, obwohl ich ihre Gedanken niemals begreifen werde.
Was soll ich tun? Sie morden und fressen sich, und ihre Denkweise, ist schockierend in ihrer Unverständlichkeit.
Ja, was soll ich tun? Werden sie zu Kangrahs, oder werden sie zu Hütern?
Letzteres wäre wünschenswert, aber allein werden sie es niemals schaffen. Diese Rasse wird das Universum vernichten – nachhaltiger als die Kangrahs, weil die Waffe der Uralten nicht mehr funktioniert. Ich sehe das am eigenen Beispiel.
Ich bin gezwungen, mich um die Menschen zu kümmern, weil ich die Verantwortung in mir spüre.
Ich wurde geboren, um das Ende des Universums zu verhindern. Das ist das Erbe der Uralten, manifestiert in jedem Weltenbaum. Dazu müßte ich die Menschen ausrotten.
Ein besonderer Konflikt, der nur auf eine Weise zu lösen ist: Falls es mir gelingt, die Menschen zum Bewußtsein des Weltraum II hinzuführen, erkennen sie die Zusammenhänge und die Gefahren selber. Sie haben einen ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb wie alle Mörder, wie alle Carnivoren. Dieser Selbsterhaltungstrieb wird sie dazu bringen, ihre Hände von Experimenten mit Kaiserkraft zu lassen.
Jahrtausende vergehen. Die Menschen entwickeln sich nur langsam, während die Temperatur der Erde abnimmt. Ich kenne bereits die Schwankungen, doch niemals zuvor litt ich so darunter wie jetzt. Die Erdachse verschiebt sich. Meine Gliedmaßen werden kalt und taub. Sie sterben allmählich ab.
Wenn das Eis die Erde beherrscht, muß ich mich abkapseln. Ich muß mich hinüberretten nach Weltraum II, doch nicht völlig. Eine Art Winterschlaf muß ich halten, denn sonst kann ich niemals wieder zur Erde zurückkehren. Vielleicht muß ich sogar sterben, wenn ich den Kontakt mit der Erde völlig verliere?
Bevor ich weiche, setze ich endgültig die Denkmäler meines Hierseins, obwohl es stumme und unsichtbare Denkmäler sind. Dabei benutze ich das Beispiel der Uralten als Vorbild: Ich schaffe eine Art Rassenerinnerung: den Keim der Verwandtschaft mit Weltraum II.
Dies ist der Weg, den ich beschreiten muß, denn die Menschen müssen aus eigener Kraft die Wahrheit finden.
Ich schwinde und kann nicht mehr den Erfolg meiner Bemühungen abwarten, denn das Eis ist schneller als die Ergebnisse meines behutsamen Eingriffs …
*
Während der Verbannung unter das Eis konzentriere ich mich ganz auf den Kontakt zu den anderen Weltenbäumen. Immer deutlicher erkenne ich, daß die Lange Reihe sich aufzulösen beginnt. Sie zerfällt, ja, das Netz der Weltenbäume ist stellenweise entartet oder auf furchtbare Weise zweckentfremdet worden. Und
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