Die Terranauten 099 - Der Öko-Schock
Luft.
Die winzigen Sporen – nur wenige waren größer als Staubpartikel – setzten sich auf seiner Helmscheibe ab, und immer wieder mußte er sie mit dem Ärmel fortwischen, um klar zu sehen.
Endlich erreichte er die Zentralebene, die dreißig Meter unter dem erstarrten Boden des Pluto lag.
Auch hier ungeheuer vitales pflanzliches Leben; Ranken und Moos, Farne, deren feines, himmelblaues Blattgespinst majestätische Bewegungen beschrieb, das goldene, raschelnde Schilf, Blumen von blendender, betörender Farbenpracht …
Und zwischen ihnen die halb überwucherten, schlafenden Gardisten.
Chrons Herz krampfte sich zusammen, je näher er der Zentrale kam.
Das Verderben, erkannte er, mußte die Basisbesatzung unvorbereitet getroffen haben.
Nirgends gab es Anzeichen für Gegenwehr.
Kein Laserschuß war abgegeben worden.
Lannister Chron stockte mitten im Schritt. Unwillkürlich entrang sich ein Stöhnen seinen spröden Lippen. Das Sicherheitsschott der Zentrale war geöffnet.
Er zögerte.
Er fürchtete den Schmerz, aber gleichzeitig wußte er, daß er die Zentrale betreten mußte.
Tian, liebste Tian, dachte er. Bitte nicht. Bitte nicht!
Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen und überschritt die Schwelle.
Mit fiebrigen Augen blickte er sich um.
Die Computerkonsolen, die Schaltpulte und -wände, die Monitoren und Instrumente, die Servosessel, der Kartentank … Alles war überwuchert.
Und alles war still.
Chron ging weiter.
Wie in Trance näherte er sich dem Sessel, der ein wenig erhöht auf einem Podest stand, von dem aus die Zentrale zu übersehen war.
Chron stieg die wenigen Stufen hinauf und blieb stehen.
Da saß Tian.
Regungslos saß sie da, und sie schlief wie alle anderen den Schlaf, der vielleicht tiefer war als der Tod selbst. Ihr Gesicht – das liebreizende, kalte Maschinengesicht einer Queen – besaß einen glücklichen, fast friedvollen Ausdruck.
Lindgrünes, haarfeines Moos sproß auf ihren Wangen, ihren Lippen, ihren geschlossenen Lidern.
Chron starrte Tian an.
»Wer hat dir das angetan?« flüsterte er. »Wer ist für all das verantwortlich? Wer?«
Hinter Chron ertönten Schritte.
Ihm wurde kalt. Seine Nackenhärchen sträubten sich. Sein Mund war trocken.
Chron entsicherte den Laser, und mit einem Schrei wirbelte er herum.
Ein Mann stand im offenen Eingang.
Der Mann war klein, dünn und grün wie Tian und die Gardisten. Aber seine Augen lebten. Wach und neugierig funkelten sie ihn an.
»Sie sind kein Gardist«, sagte der dünne Mann überrascht. »Darum also haben die Jin Sie verschont!«
»Die Jin?« krächzte Chron.
Er hatte den Fokuskristall des Lasers auf den Fremden gerichtet, aber der kleine Mann schien nicht im mindesten beunruhigt zu sein.
Gemächlich kam der Fremde näher und wedelte mit der rechten Hand. Der Sporennebel kam in Bewegung.
»Das sind die Jin«, erklärte der Fremde freundlich. »Sie können Ihren Helm unbesorgt öffnen. Die Jin befallen nur Gardisten, keine normalen Menschen.«
Chrons Hand begann zu zittern.
»Also«, stieß er rauh hervor, »sind Sie dafür verantwortlich. Sie sind ein … Ein Ungeheuer! Sehen Sie doch, was aus Tian geworden ist. Sehen Sie sie an!«
Etwas wie Trauer huschte über das grüne, faltige Gesicht des kleinen Mannes.
»Ich weiß«, sagte er. »Oh, ich begreife. Ja, ich verstehe jetzt Ihren Zorn. Sie haben diese Frau geliebt.«
»Ich werde Sie töten«, verkündete Chron. Sein Finger krümmte sich um den Feuerknopf des Lasers. »Ich werde Sie bestrafen für das, was Sie Tian angetan haben. Ich …«
Eine unsichtbare Hand entriß ihm die Waffe. Der Laser flog durch die Luft und verschwand irgendwo zwischen den wuchernden Pflanzen.
»Sie irren sich«, murmelte der Fremde. »Für die Gardisten sind die Jin die Erlösung. Es gibt keine andere Möglichkeit. Oder wollen Sie, daß wir sie töten?«
»Wir?« echote Chron und starrte benommen seine leere Hand an. Über welche Macht verfügte der Fremde? War er ein Treiber? »Wer ist ›wir‹? Wer sind Sie?«
Der Fremde lächelte jetzt.
»Ich bin Morgenstern«, sagte er. »Ich habe zur Besatzung der JAMES COOK gehört.«
*
Frei! dachte Manuel Lucci. Endlich frei!
Frischer Wind blies ihm ins Gesicht. Es war kalt, aber nicht zu kalt.
Der Wind wehte durch ein sechseckiges Fenster in den runden Raum, der im oberen Drittel des terGorden-Palastes lag.
Wie eine ins Gigantische vergrößerte Radiolare mit einem Durchmesser von eintausendfünfhundert Metern
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