Die Terranauten TB 06 - Monument der Titanen
verlor das Gleichgewicht und stürzte. Der mentale Käfig, in dem Nardas Bewußtsein eingesperrt war, öffnete sich einen Spaltbreit. Sie formte eine Lanze, griff mit einer psychischen Hand nach den Ausstrahlungen der Malachittränen und fokussierte die Kraft auf den Vielgestalter.
Gil-Coron Tschiads Augen quollen hervor. Er schrie und schlug um sich. Felsbrocken lösten sich aus der Decke und stürzten mit donnerndem Krachen zu Boden. Der Sockel, auf dem die anderen Grabensteine lagen, brach mit einem Knall auseinander.
Narda tastete um sich, bekam einen Felssplitter zu fassen und holte aus.
Eine immaterielle Faust traf ihren Leib, hob sie an und schleuderte sie einige Meter durch die Luft. Der Aufprall raubte ihr den Atem. Eine Weile herrschte Dunkelheit vor ihren Augen, und als sie sich wieder orientieren konnte, stand Gilco gebeugt über ihr, und sein Gesicht glich einer Fratze. Direkt hinter ihm wogte das Schwarz der Transitschleife.
Der Vielgestalter im Leib des Psychomechanikers hob die Malachitträne. Ihr Leuchten wuchs vor Nardas Augen an, bis es ihr ganzes Blickfeld ausfüllte; es blieb nur noch eine winzige Lücke, durch die sie das Tor beobachten konnte.
»Ich habe doch davor gewarnt, dich mir zu widersetzen«, fauchten die Lippen Gilcos. »Ich werde sicherstellen, daß sich so etwas nicht noch einmal wiederholt.«
Narda versuchte, sich zur Seite zu rollen, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Der mentale Kerker hatte sich wieder geschlossen.
Der Vielgestalter setzte dazu an, die tödliche Beschwörung zu murmeln.
In diesem Augenblick wölbte sich das Schwarz der Transitschleife einer Blase gleich vor, deckte die ganze Kammer mit Nacht zu und warf sie ins Netz der Transferstraßen. Drei Ichidentitäten wurden dahingewirbelt, an den energetischen Netzsträngen entlang. Die Mauern des psychischen Käfigs, in dem Nardas Ego festsaß, zogen sich plötzlich zusammen. Schmerz tränkte ihre Gedanken, und er ließ erst nach einer Ewigkeit nach, als der Retransfer erfolgte.
Der Luftsteg erzitterte und bebte unter Nayalas raschen Schritten. Und hinter ihr wimmerte der Schüristi. Immer wieder klammerte er sich ängstlich an einem Haltevorsprung fest und starrte in die Tiefe.
»Komm endlich weiter!« zischte Nayala. Der von der Kochenden See aufsteigende Wind spielte mit ihrem pechschwarzen Haar, ließ es flattern wie ein dunkles Banner. Sie blickte hinab. Unten, zwischen den einzelnen Gebäudekomplexen der Schwimmenden Stadt, schwebten einige Luftboote. Irgendwo waren die singenden Stimmen der Böenreiter, die sich in ihrem Regionaldialekt unterhielten. Und im Zentrum der Stadt, dort wo das Durcheinander der an den Traggerüsten angeflanschten Häuser und Hallen und Türme am größten war, befand sich die Transitschleife.
»Wir sind verloren«, heulte der Philosoph. Nayala wandte sich um, kletterte wieder nach oben und packte seinen Zartarm. »Begreifst du denn nicht, Rantranen-mit-den-anderen-Augen?«
»Nein.« Die Böen trugen nicht den Gestank heran, der weiter unten herrschte, in den Bereichen der Stadtmonteure und Abfallbeseitiger. Hier war der Wind mit feinen Duftaromen durchsetzt, die die Nasen der Böenreiter nicht beleidigten. Dies waren die lichten Zonen, die angestammte Urheimat der Geflügelten. Und nur die Angehörigen von Fremdstämmen arbeiteten dort unten, dem Atem der Kochenden See ausgesetzt, dem Gestank, den Meeresparasiten. Es waren düstere Erinnerungen. Aber Nayala empfand auch so etwas wie Dank. Wären die Böenreiter nicht gewesen, so hätte sie wahrscheinlich ihr Ende gefunden, vor Monaten, damals, als der Ebenensegler der Orgallapilger in den vom Schwarzen Fürsten beschworenen magischen Kataklysmen unterging und das kleine Boot, in das sie sich hatte retten können, direkt dem Zentrum der freigesetzten Kräfte entgegentrieb.
Nayala mußte die Hände des Schüristi mit Gewalt von dem Haltepunkt lösen. Er klammerte sich an sie, und die Drachenhexe wandte sich wieder nach unten.
Der Luftsteg beschrieb mehrere enge Kurven, und manchmal war seine Oberfläche infolge des Kondenswassers so glatt, daß sie zu stürzen drohte. Der Philosoph murmelte Worte, die sie nicht verstand.
Schließlich verbreiterte sich der Steg zu einem Wandelbogen, der in den kuppelförmigen Kopf einer pilzartigen Gebäudekonstruktion hineinführte. Gasporen zischten vor dem Eingang, Verzweigungen der Kapillarröhren, die hinabreichten bis in die kochenden Wasser und Nährstoffdämpfe für die
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