Die Terranauten TB 12 - Der weisse Stern
Claude Farrell je gesehen hatte. Ihre ganze Haltung atmete Anmut und Grazie. Ihr Gesicht war ein schmales Oval, und ihre großen, mandelfarbenen Augen schimmerten wie zwei kostbare Edelsteine. Das lange pechschwarze Haar sah aus wie ein seidener Schleier, dem ein eigenständiges Leben anhaftete und der sich in einem imaginären Wind sanft bewegte. Ihr Stimme klang wie eine magische Beschwörung, deren Wirkung sich der Treiber nicht zu entziehen vermochte.
»Sie bleiben hier«, sagte Luther Straightwire, und die Worte schienen plötzlich aus weiter Ferne zu kommen. Der Lenker trat durch die Reihen der Sitzplätze, wich vorsichtig einigen Bodenkriechern aus und trat an die Seite der Frau. Er wechselte einige Worte mit ihr, die Farrell nicht verstehen konnte, deutete einmal kurz auf ihn und verschwand dann jenseits des großen Projektionstrichters.
Die Frau schenkte Farrell ein überaus bezauberndes Lächeln. »Wir haben einen neuen Gast«, sagte sie. Augenstiele, Pupillenmembranen, organische Scanner und Facettenperlen richteten sich auf den Treiber. »Claude Farrell, ein Mensch.« Sie trat langsam auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Als er ihre Finger berührte, begann tief in ihm irgend etwas zu knistern.
Wir grüßen dich, Claude Farrell, Mensch.
»Mein Name ist Lyra«, sagte die Frau. »Und das hier sind meine Schüler. Ich bin eine Instruktorin.«
»Ich verstehe nicht …« Claude Farrell wollte jenes seltsame Gefühl aus sich verdrängen. Er kam sich vor wie ein pubertärer Knabe, der mit nervöser Anspannung seinem ersten sexuellen Erlebnis entgegensieht. Ich bin ein Mann, dachte er. Ein ausgewachsener Mann. Verdammt, laß dich doch nicht so beeindrucken, Claude …
Plötzlich sehnte er sich nach einem der schwarzen Zigarillos, deren Qualm Llewellyn so verabscheute.
Lyra legte ihm die Hand auf den Arm und führte ihn dicht an den Projektionstrichter heran. Sie hob die Hand, und das Bild darin veränderte sich.
Vor dem diffusen Hintergrund der Wurzelstränge und der Mistelblüten begannen sich die gewaltigen Feuerräder von Galaxien zu drehen. Hunderte waren es zunächst. Sie würden kleiner und kleiner, aber es tauchten immer wieder neue auf. In erhabener Stille drehten sich die nebligen Arme der riesenhaften Sternsysteme.
»Wieviel intelligente Völker gibt es wohl Ihrer Meinung nach in der ganzen Zweiten Welt? Eine Million? Eine Milliarde? Eine Billion vielleicht?« Sie lächelte, und Claude Farrell trank den Blick ihrer Augen. »Mehr. Viel mehr. Sie alle sind Erben der Uralten. Auch die intelligenten Vertreter des carnivoren Lebensstranges. Und sie alle werden von der sich anbahnenden Entropiekatastrophe bedroht. Nicht nur allein die Menschheit. Verstehen Sie?«
Er nickte langsam. Ja, er begann wirklich zu begreifen. Aber das änderte nichts an der Besorgnis, die die Worte Straightwires in ihm geweckt hatten. Die Menschheit konnte den Entitäten nichts entgegensetzen. Wenn es wirklich zu einem Vernichtungsschlag kam, so hatten sowohl die Grünen als auch die Technischen Föderationen keine Chance. Und es war sinnlos.
So sinnlos.
Lyra bewegte erneut ihre zarte Hand, und die einzelnen Galaxien entfernten sich langsamer vom Beobachter. Überall in den Sternenmeeren glänzten nun pulsierende Lichter auf. Selbst in den intergalaktischen Leerräumen konnte man einige dieser Markierungspunkte sehen.
»Das sind die einzelnen Komponenten des Interkosmischen Anti-Entropie-Systems«, erklärte Lyra. Ihre Silben woben ein Netz, in dem sich die Gedanken Farrells verfingen. »Sie beschränken sich natürlich nicht nur auf die Milchstraße. Stationen und Basen des IAES gibt es in der ganzen Zweiten Welt und auch in diesem Medium.« Sie vollführte eine umfassende Geste.
Andere Bilder. Zonen der Raum-Zeit-Verzerrung. Sternballungen, die wie dunkle Schatten vor dem Hintergrund der ewigen Nacht waren. Planeten, auf denen alles Leben erloschen war. »Ihr Volk war nicht das erste, das entropiebeschleunigende Energien freigesetzt hat. Es gab auch noch andere. Aber damals war die Waffe der Uralten noch einsatzbereit und konnte die Gefahren rechtzeitig ausmerzen. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. In den zurückliegenden Äonen fielen immer mehr Komponenten der Langen Reihe aus, Claude. Das, was Sie hier sehen, ist nichts als vergangener Glanz. Die Gegenwart ist so grau wie der Weltraum II.«
Claude Farrell empfand tiefen Schmerz, und er löste sich erst auf, als die Stimme der Instruktorin wieder heiterer
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