Die Terranauten TB 12 - Der weisse Stern
Mittelgang. »Ihr müßt leise sein«, sagte er. »Ihr dürft keinen Laut von euch geben. Wenn die Königin der Tausendbeinigen weit genug von der Hauptstreitmacht ihres Volkes entfernt ist, wittert sie uns vielleicht nicht. Ganz leise.«
Farrell konnte einige Meter entfernt die schemenhaften Konturen einiger kräftig gebauter Männer erkennen. Die Gefangenen raunten sich etwas zu, und einer von ihnen blickte immer wieder in Richtung der Vanrai. Claude Farrell sah Straightwire an. Der Lenker hockte im Schneidersitz auf dem Boden, stützte die Hände auf den Knien ab und meditierte. Er war die Ruhe selbst. Farrell verspürte plötzlich den Wunsch, auszuholen und dem Mann vor ihm die Faust ins entspannte Gesicht zu schmettern. Aber noch bevor er Gelegenheit hatte, dieser Versuchung zu erliegen, schwankte der Wagen unter dem Ansturm der Tausendbeinigen, und er mußte sich an einem hölzernen Vorsprung festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Die Gefangenen befolgten den Rat der Vanrai. Niemand gab einen Ton von sich. Sie kauerten in ihren Nischen, und die Frauen preßten ihre Kinder an sich und erstickten ihr leises Wimmern.
Hungrige Freßkiefer kratzten über Metall und Holz, und ein rhythmisches Zirpen ließ die Luft selbst erzittern. Es war ein Laut, der jede einzelne Körperzelle vibrieren ließ. Claude Farrell preßte sich die Hände auf die Ohren, konnte das gräßliche Geräusch aber nicht aussperren. Der Gefangenenwagen neigte sich von einer Seite zur anderen. Einer der Vanrai verlor den Halt, stürzte zu Boden und rutschte aus der Nische heraus.
Die Männer, die zuvor miteinander geflüstert hatten, reagierten sofort. Einer warf sich auf den im Mittelgang liegenden Sklavenjäger, und rammte ihm den Fuß in die Seite. Die in eine weiße Tunika gehüllte Gestalt versuchte sich aufzurichten, aber der zweite Hieb des Angreifers raubte ihr das Bewußtsein. Die anderen Männer sprangen in die Nische und attackierten die Vanrai, die sich dort aufhielten.
Geißeln knallten. Dolche bohrten sich in wehrlose Leiber. Blut floß.
Menschen starben.
Von einem Augenblick zum anderen herrschte das Chaos.
Die Gefangenen vergaßen den Rat der Sklavenjäger. Sie verließen ihre Nischen und unterstützten die Angreifer. Claude Farrell stellte überrascht fest, daß auch er aufsprang und sich ins Getümmel stürzte.
»Sie verfluchter Idiot!« zischte Luther Straightwire hinter ihm und versuchte vergeblich, ihn festzuhalten. »Bleiben Sie hier!« Farrell hörte die Worte, achtete aber nicht auf sie. Der Zorn, der sich in den letzten Stunden in ihm aufgestaut hatte, fand endlich ein Ventil. Er schrie und brüllte und schlug auf alles ein, was im Zwielicht weiß aufglänzte. Er rutschte in blutiger Schmiere und Kot aus, fiel der Länge nach zu Boden und kämpfte sich wieder in die Höhe, um die Angriffe fortzusetzen. Er vermochte später nicht mehr zu sagen, was in diesen langen Minuten in ihm vor sich gegangen war. Er bemerkte überhaupt nicht, daß sich das Zirpen der Tausendbeinigen wieder entfernte.
Irgendwann ließen seine Kräfte nach, und er sank irgendwo in sich zusammen. Stickige und heiße Luft brannte in seinen Lungen, und aus den Augenwinkeln sah er, wie einer der Vanrai in unmittelbarer Nähe mit der Geißel ausholte. Er schaffte es nicht mehr, rechtzeitig auszuweichen. Die Dornen der Lederriemen rissen ihm die Haut auf, und der in ihm auflodernde Schmerz schleuderte ihn in einen dunklen Trichter, an dessen Grund Vergessen auf ihn wartete.
9
Gelfy – Stadt am Rande des Winters
Im Gastraum der Herberge herrschte ein unglaublicher Gestank. Myriam bemühte sich, nur durch den Mund zu atmen, als Kargen sie in eine Ecke führte und auf einen kleinen und noch freien Tisch deutete. »Wartet hier auf mich. Ich bin gleich wieder da.« Der dürre Fallensteller verschwand in dem Gewühl, und David und Myriam nahmen Platz und sahen sich um. An der Decke flackerte der unstete Schein einiger Öllampen, aber die Rauchschwaden, die überall aus tönernen Krügen aufstiegen, verhüllten das Licht. Betrunkene Männer grölten, und Frauen, die ihre körperlichen Dienste gegen bare Münze verkauften, boten sich ihnen an und lachten schrill und unecht. Der fette Wirt hinter der langen Theke holte immer wieder mit einem Prügel aus und trieb diejenigen Gäste zurück, die seine Frau bedrängten, die auf alle Annäherungsversuche mit einem koketten Lächeln reagierte. Wein und Bier flossen in Strömen, und irgendwo
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