Die Terranauten TB 18 - Das Terranauten-Projekt
nickte.
Sie setzten sich wieder in Bewegung und folgten dem Verlauf der naß glänzenden Straße. Die Induktionsspuren für Busse und Gleitwagen sahen aus wie silberne Furchen in dem Kunststoffbelag. In der Ferne vernahmen sie das Brummen eines Küstenzuges, der auf einer Hochschiene an den Vorbergen des Jakascha-Keils entlangsurrte. Das Meer im Süden war eine graue Fläche, erhellt nur von einigen wenigen Sternen, die durch die schmalen Lücken in der Wolkendecke funkelten.
Narda orientierte sich anhand der Straßenschilder. Während der Fahrt vom Raumhafen nach der Grünen Botschaft hatte sie sich den Stadtplan Tamboros eingeprägt, und sie rechnete daher nicht mit Schwierigkeiten, die Quartiere der Agenten des Überwachungsnetzes zu finden.
Es dauerte nicht lange, und die Abstände der Gebäude auf beiden Seiten der Straße wurden geringer. Verwaltungs- und Büroniederlassungen wechselten sich ab mit mehrstöckigen Wohnhäusern und kleinen Läden. Nur hier und dort brannten einige Lampen.
Dieser Bereich der Stadt war eine Zone der Schatten und Schemen, hier und dort erfüllt von seltsamen Bewegungen – Reinigungsmechnismen, die giftige und ätzende Niederschläge von Fassaden spülten. Passanten waren nirgends unterwegs, und das machte ihr Vorhaben besonders gefährlich: Einer möglichen Vigilanten-Patrouille mußten die vier einsamen Wanderer in der Nacht sofort auffallen.
Narda hatte inzwischen das Treiber- und Terranautenabzeichen von der Jacke entfernt, ebenso wie Benjamin und Moon, und bei einer Identifizierung genügte allein das als Grund für eine Verhaftung. Sie versteckten sich in Wandnischen und finsteren Hauseingängen, wenn sie das leise Fauchen einer Turbine hörten oder ein MHD-Bus über die schmaler werdende Straße heranschwebte.
Bei einer solchen Gelegenheit schob sich Benjamin an die junge Frau heran. Narda hatte sich in den vergangenen Jahren eine nicht unbeträchtliche Menschenkenntnis erworben und war sich in groben Zügen über das Wesen des Jungen klargeworden. Benjamin hatte zu viele Geschichten über sie gehört und verehrte sie als Heldin. Wenn er sich unbeobachtet glaubte, insbesondere dann, wenn er mit Moon sprach, verhielt er sich selbstsicher. Wandte er sich jedoch an seine Heldin, so büßte er rasch sein Selbstbewußtsein ein und schien sich selbst im Wege zu sein. Das war auch jetzt der Fall.
Er gestikulierte hilflos. »Ich habe mich mit Moon unterhalten«, flüsterte er, als einer der Busse herankam und unweit von ihnen an der anderen Straßenseite hielt. Ein einzelner Passagier stieg aus, klappte angesichts der Kälte den Mantelkragen hoch und schlurfte in Richtung eines Gebäudes mit abbröckelnder Fassade. »Sie hat in der Botschaft die Karten gelegt, erinnern Sie sich, Narda?« Er räusperte sich und suchte nach den richtigen Worten. »Sie meint, die Zeichen seien nicht günstig.«
»Die was?« erwiderte Narda erstaunt.
»Die Symbol-Konstellationen. Moon meint, wir hätten noch etwas warten sollen. Sie hat den Drachen gezogen. Das bedeutet Unheil.«
Narda schüttelte den Kopf und verschluckte eine scharfe Erwiderung. Eine Treiberin, die Karten legte und auf diese Weise einen Blick in die Zukunft zu werfen versuchte! Möglichst gelassen entgegnete sie: »Vielleicht hat sie sich diesmal geirrt. Und außerdem: Ich habe nur wenige Tage Zeit. Wir konnten nicht warten.«
Benjamin nickte, so als wolle er Narda versichern, daß er ebenfalls nichts von Kartenprophetie halte. Doch nach einigen Sekunden sagte er leise: »Bisher hat sich Moon noch nie geirrt. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber … ihre Karten lügen nicht.«
Der Bus fuhr wieder an und verschwand nach einigen Sekunden hinter einer Kurve. Der Mann auf der anderen Straßenseite hatte inzwischen den Eingang erreicht, schwankte leicht, kicherte leise und hantierte umständlich mit einem Schlüssel.
»Flash«, raunte Crymsen. »Der Bursche ist voll von dem Zeug.«
Offenbar fiel es dem Berauschten schwer, das Schlüsselloch zu finden. Er war noch immer mühsam damit beschäftigt zu versuchen, in das Haus zu gelangen, als sich ein weiteres Fahrzeug näherte. Ein khakifarbener Bodengleiter hielt vor dem Wohngebäude, und zwei Vigilanten sprangen daraus hervor. Mit gezückten Waffen eilten sie auf den Mann zu, der sich jetzt umdrehte und erschrocken die Augen aufriß.
Von einer Sekunde zur anderen wirkte er gar nicht mehr schwerfällig; er bewegte sich mit verblüffender Flinkheit, als er den heranstürmenden
Weitere Kostenlose Bücher