Die Teufelsbibel
würde.
Als seine Gedanken so weit gekommen waren, spürte Pavel den Schmerz. Er stammte nicht von seinen blauen Flecken, geprellten Rippen und sonstigen Verletzungen, sondern kam aus seinem Herzen. Beinahe überrascht erkannte er, welchen Platz die Freundschaft zu Buh in seinem Herzen eingenommen hatte. Er war sich ihrer Tiefe nie bewusst gewesen. Plötzlich wünschte er sich nichts mehr, als dass er wenigstens zu Buh hätte sagen können: Es tut mir leid.
Buh hatte ihn unter einem Gebüsch versteckt. Im Sommer wäre das Versteck gut gewesen; aber die Zweige trugen jetzt, kurz vor Ostern, lediglich schwache Knospen, und der Regen fiel ungehindert durch sie hindurch. Die Kutte war noch nicht so durchnässt, wie sie nach Stunden hätte sein müssen;konnte es bedeuten, dass Pavel nur kurz besinnungslos gewesen war?
Wenn ja, dann war Buh vielleicht noch in Rufweite. Es war Nacht, und außer ihnen würde keine Menschenseele im Freien sein. Er konnte ihn erreichen, wenn er ihn rief.
Pavel merkte, dass er bereits auf der Straße stand, als er zum Ende seiner Gedanken gekommen war. Schwindel ließ ihn taumeln. Die Straße lief als vages helles Band unter seinen Füßen hindurch und verlor sich in der Finsternis. Er konnte niemanden darauf erblicken. Er holte Atem, doch dann gewann der Verstand die Oberhand.
Was hatte er gerade tun wollen? Buh zurückrufen? Er sollte lieber Gott danken, dass der Riese ihn im Stich gelassen hatte – um des Erfolgs der Mission willen, vor allem aber wegen Buhs Seele. Es konnte keinen Zweifel geben, dass Pavel verflucht war, auch wenn alles, was er getan hatte, nur der Liebe zu Abt Martin, dem Gehorsam seines Gelübdes und der Rettung der Christenheit wegen geschehen war. Pavel schwankte.
Dann hörte er das Stampfen und das schwere Atmen. Jemand näherte sich der Straße. Zog man die Tageszeit in Erwägung, konnte es sich um keinen aufrechten Menschen handeln. Wegelagerer, Gesetzlose, Verzweifelte. Sie mussten auf ihn aufmerksam geworden sein, als er aus dem Gebüsch gekrabbelt war. Für Leute wie sie war schon eine halbwegs unversehrte Mönchskutte ein Schatz. Sie würden ihn erschlagen, und Pavel war überzeugt, dass er nichts Besseres verdient hatte. Er schloss die Augen, breitete die Arme aus und begann flüsternd zu beten. Das Stampfen näherte sich und hielt vor ihm an. Er hörte das Schnauben eines Tiers. Dann hörte er die Stimme.
»Gnnnnh!«
Er öffnete die Augen. Direkt vor ihm stand Buh. Der Riese lächelte nicht, aber er wies auf einen Esel, der neben ihm stand, komplett mit einem aus Stricken gefertigen Zaumzeug. Buh machte eine einladende Handbewegung.
Pavel kletterte wie in Trance auf das Tier. Buh hatte es von einer nahe gelegenen Koppel gestohlen, um ihr Fortkommen zu sichern. Nun erinnerte sich Pavel daran, dass Buh ihn die meiste Zeit über getragen hatte, seit sie aus Prag entkommen waren. Er krallte sich in die kurze Mähne des Esels und versuchte, die Beine um seinen Leib zu schlingen. Buh nickte, packte den Zügel und begann zu laufen. Der Esel, der erkannt hatte, wer der Klügere war, gab nach und lief hinterher. Wild geschaukelt setzte Pavel ihre gemeinsame Reise in die Nacht fort, und Tränen liefen seine Wangen herab.
10
Es war eine Reise aus der Nacht in den Tag hinein; selbst wenn es nicht so gewesen wäre, hätte Cyprian sich so gefühlt. Er konnte etwas unternehmen. Weder er noch Andrej waren geübte Reiter, und sosehr es ihn auch gedrängt hatte, sofort aufzubrechen, hatte er sich doch bezähmt und den Wagen anspannen lassen. Der alte Seebär war nirgends zu finden gewesen, und so hatten Cyprian und Andrej sich kurzerhand auf den Bock gesetzt und den Wagen selbst aus der Stadt manövriert. Sie hatten wertvolle Zeit verloren – mit dem Zurücklaufen zu Cyprians Behausung, mit dem Wagen, vor allem aber mit dem Abfahren der vielen Tore, die nach Osten aus der Stadt hinausführten, bis sie das fanden, dessen Besatzung sich an zwei Mönche erinnerte. Unabgesprochen waren sie beide zur selben Erkenntnis gelangt: dass die Mönche aus dieser Richtung gekommen waren und dorthin wieder zurückkehren wollten. Podlaschitz lag im Osten.
Der Wagen war langsamer als zwei Reiter; auch das hatte Cyprian in Kauf genommen. Er hatte es als Sieg über sich selbst empfunden, vorauszuplanen anstatt impulsiv loszurennen. Der Wagen war langsamer; aber spätestens heute Abendwären zwei lahme, wunde und möglicherweise mehrfach abgeworfene Reiter langsamer gewesen. Es war
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