Die Teufelshaube
der Kapelle, aber … oje.« Denn Adelia hatte sich dem Buch genähert. Als sie dessen Rücken zwischen Daumen und Zeigefinger fasste, um es sich anzusehen, stieß die Nonne einen erleichterten Seufzer aus: »Ich sehe, Bücher liegen Euch am Herzen. So mancher zieht einfach mit einem Finger oben am Rand und reißt dabei …«
»Boethius«, sagte Adelia erfreut.
»›O glückseliges Menschengeschlecht, wenn die Liebe auch euren Geist lenkt, so wie sie den Himmel lenkt.‹«
»›Um Göttlichkeit zu erlangen, werdet zu Göttern‹«,
frohlockte Schwester Lancelyne.
»›… omnis igitur beatus deus … durch Teilhabe.‹
Sie haben ihn dafür eingesperrt.«
»Und getötet. Ich weiß, aber wie mein Ziehvater immer sagt, wenn er nicht im Kerker gesessen hätte, hätte er niemals den
Trost der Philosophie
geschrieben.«
»Wir haben nur
Fides und Ratio«,
sagte Schwester Lancelyne. »Ich wünsche mir … nein,
mea culpa,
ich verzehre mich nach dem Rest, wie es König David nach Bathseba gelüstete. In der Bibliothek in Eynsham haben sie eine vollständige
Consolatio,
und ich habe es gewagt, den Abt zu fragen, ob wir sie ausleihen und kopieren dürften, aber er hat zurückgeschrieben, dass sie zu kostbar sei, um sie uns zu schicken. Er traut Frauen keine Gelehrsamkeit zu, und das ist ihm natürlich nicht zu verdenken.«
Adelia selbst war keine Gelehrte. Schließlich hatte sie notgedrungen fast immer nur medizinische Abhandlungen studiert, aber sie hatte große Hochachtung vor Menschen, die es waren. Die Gespräche mit ihrem Ziehvater und ihrem Lehrer Gordinus hatten ihr eine Tür zur Literatur des Geistes geöffnet, hinter der sie einen leuchtenden Pfad zu den Sternen erblickt hatte, den sie, das hatte sie sich geschworen, eines Tages erkunden würde. In der Zwischenzeit war es schön, ihn hier wiederzuentdecken, zwischen den Regalen und dem Velingeruch und dem unverwüstlichen Wissensdrang dieser kleinen alten Frau.
Behutsam stellte sie das Buch zurück. »Ich hatte gehofft, Mistress Dakers hier bei Euch zu finden.«
»Eine weitere große Hilfe«, sagte Schwester Lancelyne fröhlich und zeigte auf eine Gestalt mit Kapuze, die halb versteckt zwischen den Regalen auf dem Boden kauerte.
Sie hatten Rosamunds Haushälterin ein Messer gegeben, um die Schreibfedern damit anzuspitzen. Gänsefedern lagen neben ihr, sie hielt eine in der Hand, und ihr Schoß war übersät mit Calamusspänen. Eine harmlose Arbeit, noch dazu eine, die sie zahllose Male für Rosamund erledigt haben musste, und doch musste Adelia unwillkürlich daran denken, dass da etwas zerstückelt wurde.
Sie ging zu der Frau und hockte sich neben sie. Schwester Lancelyne und Pater Paton widmeten sich schon wieder ihrer Arbeit.
»Erinnert Ihr Euch an mich, Mistress?«
»Ich erinnere mich.« Dakers spitzte weiter mit raschen Schnitten die Feder an.
Sie hatte zu essen bekommen und sich ausgeruht, daher sah sie nicht mehr ganz so ausgezehrt aus, doch keine noch so gute Fürsorge würde je Dakers’ skelettartigen Körper fülliger machen oder ihren Hass mildern. Er loderte noch immer in den Augen, die auf ihre Arbeit gerichtet waren. »Ist der Mörder meiner Liebsten schon gefunden?«, fragte sie.
»Noch nicht. Habt Ihr gehört, dass Bertha tot ist?«
Dakers’ Mund verzog sich, zeigte ihre Zähne. Sie hatte es gehört – und das mit Freuden. »Ich hab meinen Meister angerufen, er möge sie bestrafen, und er hat’s getan.«
»Welchen Meister?«
Dakers drehte den Kopf so, dass Adelia ihr voll ins Gesicht sah. Es war, als starrte sie in eine Leichengrube. »Es gibt nur den Einen.«
Draußen wartete Cross auf sie, und als sie an ihm vorbeikam, trottete er griesgrämig hinterdrein. »He«, sagte er, »was machen die denn jetzt mit Giorgio?«
»Mit wem? Ach so, Giorgio. Nun ja, ich vermute, die Schwestern werden ihn bestatten.« In Godstow stapelten sich die Leichen allmählich.
»Aber wo denn? Ich will, dass er anständig unter die Erde kommt. Giorgio war nämlich Christ, jawohl.«
Und Söldner, dachte Adelia, was ihn in Godstows Augen auf eine Ebene mit denjenigen stellen könnte, die ihr Recht auf ein christliches Grab preisgegeben hatten. Sie sagte: »Habt Ihr die Nonnen gefragt?«
»Kann nich mit denen reden.« Die frommen Schwestern machten Cross Angst. »Fragt Ihr sie.«
»Wieso sollte ich?« Was bildete der Kerl sich eigentlich ein?
»Ihr seid doch Sizilianerin, nich? Genau wie Giorgio. Ihr habt gesagt, ihr wärt Sizilianerin, dann
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