Die Teufelshaube
Schreien Sterbender. Der Geist eines erschlagenen Erzbischofs erhob sich aus den Gemäuern Canterburys und schlich durch den Raum.
Pater Paton starrte ein Gesicht nach dem anderen an und wunderte sich, dass der Bischof so beschwörend auf die Assistentin des Arztes einredete und nicht auf den Arzt selbst.
»Hat sie es getan?«, fragte Adelia endlich.
»Nein.« Rowley wischte mit einer Serviette etwas Fett von seinem Ärmel und goss sich Wein nach.
»Seid Ihr sicher?«
»Nicht Eleanor, ich kenne sie.«
Kennt er sie wirklich? Zweifellos bestand zwischen Königin und Bischof eine zarte Achtung. Als Eleanors und Henrys erstgeborener Sohn im Alter von drei Jahren gestorben war, hatte Eleanor gewünscht, dass man das Schwert des Kindes nach Jerusalem trug, damit der kleine William noch im Tode zum heiligen Kreuzfahrer wurde. Rowley war es gewesen, der die schreckliche Reise auf sich genommen und das Kinderschwert auf den Hochaltar gelegt hatte. Daher schätzte Eleanor Rowley,
natürlich
schätzte sie ihn.
Aber wie jede andere königliche Angelegenheit war auch diese von König Henry angeordnet worden. Henry war es gewesen, der Rowley den Befehl erteilt hatte, und Henry hatte sich bei Rowleys Rückkehr darüber in Kenntnis setzen lassen, was im Heiligen Land vor sich ging. O ja, Rowley Picot war eher der Spion des Königs gewesen als der Schwertträger der Königin.
Dennoch, der Bischof nahm für sich in Anspruch, Eleanors Charakter zu kennen, und fügte hinzu: »In der direkten Auseinandersetzung wäre sie Rosamund an die Gurgel gegangen … aber Gift, nein. Das ist nicht ihr Stil.«
Adelia nickte. Auf Arabisch sagte sie: »Ich verstehe noch immer nicht, was Ihr von mir wollt, ich bin eine Ärztin der Toten …«
»Ihr habt einen scharfen Verstand«, sagte der Bischof ebenfalls auf Arabisch. »Ihr seht Dinge, die andere nicht sehen. Wer hat denn letztes Jahr die Juden von dem Vorwurf des Kindermordes entlastet? Wer hat den wahren Mörder aufgespürt?«
»Ich hatte Hilfe.« Die gute zarte Seele, Simon aus Neapel. Er war der eigentliche Ermittler gewesen, der zu diesem Zweck mit ihr aus Salerno gekommen und dafür gestorben war.
Mansur tat etwas für ihn Ungewöhnliches, indem er sich einmischte und auf Adelia deutete. »Sie darf nicht wieder in solche Gefahr gebracht werden. Der Wille Allahs und nur der Wille Allahs hat sie letztes Mal aus der Hölle erlöst.«
Adelia lächelte ihn herzlich an. Soll er es doch ruhig Allah zuschreiben, wenn er möchte. Tatsächlich hatte sie die Höhle des Kindermörders nur deshalb überlebt, weil ein Hund Rowley rechtzeitig dorthin geführt hatte. Wovon jedoch weder er noch Gott oder Allah sie erlöst hatten, waren die Erinnerungen an einen Alptraum, die sie im täglichen Leben noch immer heimsuchten, und zwar so deutlich, als würde alles noch einmal passieren – jetzt oft mit der kleinen Allie als Opfer.
»Natürlich wird sie nicht wieder in Gefahr geraten«, sagte der Bischof mit Nachdruck zu Mansur. »Dieser Fall ist doch ganz anders. Hier hat es keinen Mord gegeben, nur einen gescheiterten Mordversuch. Der Täter, wer auch immer es war, ist längst über alle Berge. Aber eines ist doch klar!« … Eine weitere Schale kippte um, als er mit der Faust krachend auf den Tisch schlug. »
Eines ist doch klar! Jeder
wird glauben, dass Eleanor sie vergiftet hat. Sie hasst Rosamund,
und
sie war möglicherweise in der Nähe. Hat Gyltha das nicht auch sofort gedacht? Wird die Welt es nicht denken?« Er richtete den Blick von Mansur auf die Frau ihm gegenüber. »Im Namen Gottes, Adelia,
hilf mir.
«
Mit einem Nicken Richtung Tür stieß Gyltha Mansur an, der unverzüglich aufstand und den widerstrebenden Pater Paton im Genick packte.
Die beiden, die am Tisch sitzen blieben, bemerkten nicht, dass die anderen gingen. Die Augen des Bischofs ruhten auf Adelia; die ihren auf den eigenen, fest gefalteten Händen.
Ich muss aufhören, ihm Vorwürfe zu machen, dachte sie. Er hat mich nicht verlassen.
Ich
wollte nicht heiraten, nur
ich
habe darauf bestanden, dass wir uns nicht wiedersehen. Es ist irrational, ihm zu verübeln, dass er sich an die Vereinbarung gehalten hat.
Aber verdammt, in all den Monaten hätte wenigstens
irgendwas
von ihm kommen können – zumindest, dass er das Kind anerkennt.
»Wie versteht Ihr Euch mit Gott?«, fragte sie.
»Ich diene ihm, hoffe ich.« Seine Stimme klang amüsiert.
»Mit guten Werken?«
»Wenn ich kann.«
Sie dachte: Und wir wissen beide,
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