Die Teufelshure
Schwärme von Raben zogen krächzend ihre Kreise, als sie jene Stelle erreichten, an der sich der Loch Leven mit dem Loch Iol vereinte.
Der Wolkenhimmel riss auf, und die Abendsonne flutete in leuchtendem Gold über das tiefblaue Wasser. In einiger Entfernung, inmitten von Loch Leven, leuchteten die zahlreichen, nach Westen ausgerichteten Grabsteine der Insel Sankt Munda auf. Der Friedhof dort beherbergte die letzten Ruhestätten der MacDonalds of Glencoe, der Camerons of Lochaber und der Stuarts of Appin friedlich nebeneinander – allen Fehden zum Trotz. John und seine Begleiter umrundeten das Loch, um endlich auf das Land der Camerons von Loch Iol zu gelangen.
Bei Anbruch der Dämmerung erreichten sie das Gebiet von Lochaber. Zu früheren Zeiten wären sie hinter jedem Strauch einer Ansammlung von streitbaren Highlandern in die Arme gelaufen, doch in den vergangenen Kriegsjahren hatten Tausende guter Männer ihr Leben gelassen. Inzwischen wurde jeder, der alt genug war, in einem der Regimenter zu kämpfen, für den Krieg rekrutiert.
Wehmütig dachte John daran zurück, dass es immer noch als Ehre des Kriegers galt, im Kampf zu sterben, und wie schmerzlich er trotz dieses zweifelhaften Ruhmes jeden einzelnen Freund vermisste, den er auf eine solch grausame Weise verloren hatte.
Plötzlich überkam es John wie eine Erleuchtung. Eine alte Frau, die mit einem Jungen im Halbdunkel am Wegesrand stand und einen Korb mit Reisig auf ihrem Rücken trug, erinnerte ihn an Granny Beadle und an seinen Schwur, mit dem er damals in der Kings-Close Gott den Allmächtigen so bitter herausgefordert hatte. Noch immer klangen die mahnenden Worte der alten Frau in seinem Ohr. Was wäre, wenn Cuninghame ihm und seinen Kameraden tatsächlich das ewige Leben geschenkt hatte? Auch wenn der schwarze Lord und seine Bruderschaft mit ihren Foltermethoden und Todesschwadronen gewiss kein edles Ziel verfolgten, so hatten sie John mit ihrem geheimen Buch auf eine Idee gebracht. Sollte der Allmächtige sich tatsächlich des Satans bedient haben, um John von seiner Güte zu überzeugen? Und wenn Cuninghame tausendmal ein Satan war, was hinderte John daran, sich mit dessen Hilfe in einen Engel zu verwandeln? Wenn es ihm gelang, herauszufinden, wie man das Elixier auch ohne menschliche Opfer herstellen konnte, würde er Alten, Kranken und hoffnungslos verlorenen Kriegern zur Seite stehen und sie von einem unwürdigen Tod ins ewige Leben befördern.
Vorsichtig sah er sich um. Als Erstes würde er dafür sorgen, dass Madlen die lebensspendende Substanz erhielt. Wenn er tatsächlich unsterblich war, wollte er sein Leben nicht ohne die Frau verbringen, die er von ganzem Herzen liebte. Als Zweites würde er das Leben von Wilbur verlängern. Der kleine Mohr war noch zu jung, um dem Tode ins Auge zu blicken. Seine Jugend und die schwarze Hautfarbe erinnerten John an Jeremy Cook, den kleinen Chimney sweep, den er auf so furchtbare Weise verloren hatte. Was wäre geschehen, wenn der Junge mit Hilfe dieses geheimnisvollen Elixiers am Leben geblieben wäre? John hätte alle Zeit dieser Welt gehabt, um ihn aus diesem verdammten Kamin zu befreien.
Die ganze Zeit über konnte John an nichts anderes mehr denken, und daher bemerkte er trotz seiner neu erworbenen Fähigkeiten nicht, wie Randolf und Paddy und auch die übrigen Gefährten beinahe lautlos ihre Degen zogen, weil ein barbarisch aussehender Trupp wie aus dem Nichts hinter ihnen erschienen war.
Rosie stieß einen unterdrückten Schrei aus, als sie die wilden Gestalten sah, die ihre massigen Pferde immer näher an sie heranlenkten.
Madlen blieb ruhig auf ihrem Rappen sitzen. Sie hatte offenbar sofort erkannt, dass es sich um Krieger des Cameron-Clans handeln musste. Ihre Plaids trugen dieselben Farben, wie John sie getragen hatte, bevor er in diese schreckliche Uniform gestiegen war.
Es war Bran MacPhail, der den Trupp anführte. John, der den dunkelhaarigen Hünen noch aus seinen Jugendzeiten kannte, rief ihm eine nur unter Eingeweihten bekannte Losung zu: »Dà thaobh Loch Ial’s dà thaobh Lòchaidh – Loch Ial, Loch Ial.« Was soviel bedeutete wie: »Auf beiden Seiten des Loch Ial und auf beiden Seiten von Lòchaidh – Loch Ial, Loch Ial.«
Bran schaute verdutzt. Mit misstrauischer Miene musterte er John so lange, bis ihm ein Licht aufzugehen schien. Anscheinend hatte er seinen abtrünnigen Clanbruder wegen der fremdartigen Aufmachung nicht gleich erkannt.
»Steckt die Waffen weg!«, befahl
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