Die Teufelshure
bereits, dass sie ehrlich zu John gewesen war und ihm von ihren Visionen berichtet hatte. Irgendetwas daran schien ihm auf den Magen geschlagen zu sein. Inzwischen hatte er sich den zweiten doppelten Whisky bestellt, dabei war nicht einmal der Hauptgang serviert worden. Schweigend aßen sie, nachdem die Kellnerin die Jakobsmuscheln serviert hatte. Lilian verspürte das unangenehme Gefühl, mit ihren Erläuterungen übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Ein hausgemachtes Problem, wie sie sich selbst eingestehen musste. Sie war immer zu impulsiv und dachte selten darüber nach, ob ihre Spontanität unangenehme Folgen haben konnte. Andererseits hasste sie es, sich verstellen zu müssen – schon gar nicht bei einem Mann, der sie interessierte, und bei einer Sache, die ihr so wichtig war.
Nachdem das Dessert serviert worden war, nahm sie ihren ganzen Mut zusammen, um John auf sein Verhalten anzusprechen, während er schweigsam in seinem Dundee-Kuchen herumstocherte.
»Seien Sie bitte aufrichtig zu mir, John«, begann sie und gab sich dabei alle Mühe, ihm direkt in die Augen zu schauen. »Habe ich Ihnen mit meiner Offenheit den Abend verdorben?«
Er hielt inne. »Nein«, erwiderte er und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. »Es ist nicht Ihre Schuld, sondern meine, ich hätte vielleicht nicht herkommen sollen.«
Lilian rutschte das Herz in die Hose. »Wie soll ich das verstehen?«
»Das ist eine komplizierte Geschichte, für die Sie nicht die geringste Verantwortung tragen.«
»Ich liebe komplizierte Geschichten«, entgegnete Lilian herausfordernd. »Und ich finde, ich habe es verdient, sie zu erfahren, weil ich sonst am Ende denken werde, dass es doch meine Schuld ist, weshalb der Abend nicht so verlaufen ist, wie wir beide uns das vielleicht vorgestellt haben.«
»Ihre Story hat mich an den Tod meiner Frau erinnert.«
»Sie waren verheiratet?« Lilian hatte Mühe, ihr Erstaunen zurückzuhalten.
»Dann sind Sie also Witwer?«
»So könnte man es nennen, ja.« Seine Stimme war leise und wurde von den Geräuschen im Lokal übertönt, aber selbst wenn sie gar nichts verstanden hätte – sein trauriger Blick erklärte ihr alles.
»Das tut mir aufrichtig leid.« Lilian griff spontan nach seiner Hand, die auf dem Tisch lag und die er nicht zurückzog, als sie zunächst sanft seine Finger berührte und sie anschließend drückte.
»Haben Sie Kinder?«
»Nein, wir hatten keine Kinder.«
»Warum ist Ihre Frau gestorben?«
»Sie wurde im Krieg getötet«, entgegnete er ebenso leise, jedoch ohne nähere Erläuterungen hinzuzufügen.
Lilian lag es fern, tiefer in ihn einzudringen. Sie konnte sich vorstellen, dass seine Frau wahrscheinlich Soldatin gewesen und im Irak oder in Afghanistan gefallen war. Vielleicht hatte es sich aber auch um eine Ausländerin gehandelt, die er in einem Krisengebiet kennengelernt hatte und die als Zivilistin in einem Gefecht getötet worden war.
»Wir sollten gehen – habe ich recht?« Lilian hielt es nicht länger im Tigerlilly aus. Mit einem Mal erschien es ihr zu bunt, zu laut und zu fröhlich.
John bestand darauf, die Rechnung zu begleichen. An der Garderobe half er ihr in den Mantel, und als sie das Restaurant vor ihm verlassen wollte, hielt er sie am Ärmel ihres Mantels zurück.
»Warten Sie bitte einen Moment und lassen Sie mich vorgehen?« Schon war er an ihr vorbeimarschiert, um die Tür zu öffnen und einen Blick auf die Straße zu werfen. Erst nachdem er nach rechts und links geschaut hatte, wandte er sich zu ihr um und streckte ihr seine Hand entgegen, um sie nach draußen zu geleiten.
Es hatte zu regnen begonnen. Während sie gemeinsam über die vielbefahrene Straße liefen, legte er ihr unerwartet schützend den Arm um die Schulter, dabei sah er sich wieder nach allen Seiten um. Sein kontrollierendes Verhalten war ihr schon im Restaurant aufgefallen. Er tat es nicht so offensichtlich, aber Lilian war sensibel genug, es zu bemerken. Armer Kerl, dachte sie. Wahrscheinlich war sein Job daran schuld oder der frühe Tod seiner Frau, dass er permanent seine Umgebung checken musste.
Nachdem sie an Lilians Wohnungstür angekommen waren, schaute sie erwartungsvoll zu ihm auf. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, bevor er ihr auswich und zu Boden sah.
»Ich gehe dann mal besser«, sagte er leise. Seine Aufmerksamkeit schien zum Türschild zu wandern, auf dem Jennas
und
Lilians Name standen.
»Wollen Sie nicht einen Moment mit hineingehen?« Lilian bemühte sich,
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