Die Teufelshure
Unternehmen zur Abstimmung gebracht, und alle im Vorstand waren ausnahmslos dafür gewesen.
»Komm nur her, mein Freund«, zischte Alex, der offenbar ahnte, in welchem Gewissenskonflikt sich John befand. »Wenn du uns gefangennimmst, musst du sie töten. Lilian ist nicht auf ›E‹, aber sie gehört zur Familie, und damit ist sie eine von uns, ob es dir gefällt oder nicht.«
John machte einen letzten Versuch. »Komm mit mir, Lilian. Ich bringe dich in Sicherheit.«
»Hör nicht auf ihn«, krächzte ihr Bruder. »Du hast gesehen, was er mit den anderen angestellt hat.«
»Mach dir keine Gedanken, Alex«, rief Lilian unter Tränen. »Eher würde ich mit dem Teufel gehen.« Sie warf John einen Blick zu, als ob er den Verstand verloren hätte.
»Sie weiß, dass du ein Monster bist«, höhnte Alex mit brüchiger Stimme. »Und verdammt, sie hat recht.«
John starrte ihn fassungslos an. »Lilian, ich kann nicht glauben, dass du wirklich zu ihm gehörst!« Ein allerletztes Mal versuchte er all seine Überzeugungskraft in einen einzigen Blick zu legen, doch der Zauber wirkte nicht mehr.
»Er ist mein Bruder«, warf sie ihm entgegen. »Hast du das immer noch nicht begriffen? Du hast auf meinen Bruder geschossen!«
»Dein Clan wird kein Verständnis dafür haben, wenn du sie anschleppst und danach am Leben lässt. Sie würden ihr niemals vertrauen.« Alex setzte ein höhnisches Grinsen auf. »Denk drüber nach!«
John ahnte, dass Alex auf Zeit spielte. Gewiss würde es nicht mehr lange dauern, bis Verstärkung aus Cuninghames Lager anrückte.
Johns Verbündete wussten noch nicht einmal, wo und bei wem er sich aufhielt. Einen Moment lang zögerte er noch, dann sah er sich um, als ob er nach einem Ausweg suchte. Als sein Blick zu Lilian zurückkehrte, erkannte er die Abscheu in ihrem Gesicht. Alex hatte recht: Lilian war keine Unsterbliche, und wenn sie trotzdem zu Cuninghames Leuten gehörte und John sie gegen ihren Willen und mit ihrem Bruder nach Mugan Manor entführte, würden seine Kameraden darauf bestehen, dass man ihn nach Norwegen brachte und sie womöglich eliminierte.
John fasste einen Entschluss. Er musste verschwinden und Lilian bei ihrem Bruder zurücklassen – selbst wenn es ihm das Herz brach.
30
Schottland 2009 – »Rosenkrieg«
Von Johns Wagen waren nur noch die Rücklichter zu sehen, als Lilian sich zu Alex hinunterbeugte.
»Ich gehe und hole Hilfe«, sagte sie tonlos. Sie stand unter Schock und reagierte nur noch mechanisch. Ihr Blick richtete sich auf die zwei kopflosen Leichen, die samt ihrer abgetrennten Köpfe zwischen den geparkten Fahrzeugen lagen, und auf drei weitere reglose Körper auf dem Zufahrtsweg, die vermutlich auch tot waren. Die brennende Frage, was Alex damit zu tun haben konnte und ob er die Toten kannte, verschob sie auf später.
Sie musste die Nerven behalten, um ihrem Bruder zu helfen. Der Versuch, von hier aus einen Krankenwagen und die Polizei zu rufen, scheiterte kläglich, weil das Mobiltelefon ihres Bruders bei seinem Sturz zu Bruch gegangen war.
Alex versuchte sie festzuhalten, nachdem sie ihn halb sitzend an die Säule gelehnt hatte.
»Bleib«, sagte er und umklammerte ihr Fußgelenk, aber er war zu schwach, um sie zu halten.
Lilian entzog ihm ihr Bein und schüttelte den Kopf. »Sei vernünftig, du benötigst dringend Hilfe, und wer weiß, ob noch mehr von diesen Typen aufkreuzen?« Der Eindruck, dass Alex’ Verletzung nicht mehr ganz so stark blutete wie noch vor ein paar Minuten, und die Tatsache, dass er trotz einer lebensgefährlichen Verletzung noch klare Worte finden konnte, machten ihr Mut, dass es noch Hoffnung gab und es nicht ganz so schlimm war, wie es aussah.
Auf dem Weg zum Aufzug wirbelten ihr die Geschehnisse immer wieder durch den Kopf. Was war das gewesen? Ein terroristischer Anschlag? Ein Raubüberfall? Oder – was sie nicht hoffen wollte, ein Verteilungskrieg unter besonders bizarren Fraktionen in der Drogenmafia? Für einen Moment war es ihr vorgekommen, als ob ihr Bruder John gekannt hätte.
Debby Hoverton gab nicht gerade das leuchtende Beispiel einer wachsamen Concierge ab, als sie durch das hämmernde Klopfen auf eine der Glasscheiben, die ihr Büro vom Hauseingang trennten, geweckt wurde. Der Fernseher lief, und sie machte ein verwirrtes Gesicht, als sie Lilian in ihrem blutbesudelten Bettlaken vor sich stehen sah.
»Rufen Sie sofort einen Krankenwagen und die Polizei!«, bat Lilian sie mit Nachdruck in der Stimme.
Debby
Weitere Kostenlose Bücher