Die Teufelshure
dass wir angreifen, werden sie Lilian und John entweder auf der Stelle töten oder versuchen, sie außer Landes zu bringen. Uns muss etwas einfallen, damit wir den Überraschungseffekt auf unserer Seite haben.«
»Und wie sollte das gehen?« David sah ihn zweifelnd an. »Rund um Corby Castle sieht es aus wie in einer Mondlandschaft. Mit Ausnahme von ein paar Bergen und Hügeln, die das Gelände unübersichtlich machen, kannst du auf hundert Yards sehen, wer sich nähert. Zumal wenn man über modernste Satellitentechnik verfügt. Es war kein Zufall, dass Cuninghame sich diesen Ort ausgesucht hat. So hatte er kurze Wege und konnte sein Vorhaben rasch in die Tat umsetzen, bevor John Gelegenheit hatte, lange über seine Reaktion nachzudenken.«
Bran kniff die Lippen zusammen. »Ein Grund, warum ich Paddy nicht dabeihaben will. Er würde Johns Vorgehen nicht gutheißen und ihn womöglich für seine Entscheidung verurteilen. Also bin ich auf eure kreativen Ideen angewiesen. Allzu viel Zeit bleibt uns nicht.«
Ruaraidh war aufgestanden, um zu einer der Bücherwände zu gehen. Mit Bedacht zog er einen beinahe zerfallenen, in Leder eingebundenen Kartenband aus dem 16. Jahrhundert heraus. Sorgsam legte er den Einband auf einen alten Eichenholztisch und schlug ihn ungefähr in der Mitte auf. »Seht euch das an!«, forderte er seine Kameraden auf. »Das ist eine Karte von Iona aus dem 15. Jahrhundert. Zu jener Zeit ein kostbarer Schatz, weil sie etwas enthielt, was damals kaum jemand wusste und das heute anscheinend niemanden mehr interessiert.«
Ruaraidh fuhr mit dem Zeigefinger an einer rötlichen Linie entlang, die das Pergament von Iona über Loch Scridain bis zur Insel Mull durchquerte, bis sie am Ben Mhor – was nichts weiter bedeutete als großer Berg – schließlich endete. »Unter anderem zeigt diese Karte einen unterirdischen Flusslauf, dessen Mündung damals nur bei Ebbe am felsigen Ufer von Loch Scridain zutage trat. Heute liegt die Stelle vollkommen unter Wasser und ist nur für Taucher zugänglich. Es hat Ansätze gegeben, die Höhle und damit den Flusslauf zu untersuchen, aber nachdem mehrere Wissenschaftler vor Jahren beim Versuch, in das verzweigte Gangsystem einzudringen, tödlich verunglückt waren, hat man davon Abstand genommen. Angeblich führt der Fluss direkt unter die Katakomben von Corby Castle. Die Festung stammt aus dem 7. Jahrhundert. Unweit des Ben Mhor gehörte sie den sogenannten Rabenpriestern, einer keltischen Sekte, die von ersten Missionaren aus Iona vertrieben worden war. Sie schworen den Christen ewige Rache und verschanzten sich auf Mull hinter den Mauern einer bis dahin einzigartigen Festung. Zu jener Zeit waren die Inseln noch mit dichten Wäldern bewachsen, und es gab unzählige Möglichkeiten, sich vor den Augen der Feinde zu verbergen. Der Fluss diente Dun Fitheach, wie die Festung von ihren Bewohnern genannt wurde, nicht nur als Wasserreservoir, sondern auch als geheimer Transportweg für Waffen und Nahrung. Wenn es zutrifft, was hier drin geschrieben steht, müsste es einen unterirdischen Zugang zur Festung geben.«
»Müsste?« Malcom sah ihn zweifelnd an.
»Wenn wir es nicht versuchen«, gab Wilbur mit zitternder Stimme zu bedenken, »werden wir nie erfahren, ob John dort gefangengehalten wird und wir ihn befreien können.«
»Wir haben ohnehin nur einen Versuch.« Bran war die Anspannung anzusehen. Sprungbereit wie ein Löwe, der auf seine Beute lauert, saß er in seinem Kampfanzug da, das dichte Haar im Nacken gebunden und die Brauen grimmig zusammengezogen. »Also, worauf warten wir noch?«
Als Lilian zu Jenna zurückkehrte, traf es sie wie ein Schock. Ihrer Freundin ging es weitaus schlechter. Ihre Haut glich Papier, und sie lag gekrümmt und zitternd, mit eingefallenen Wangen auf ihrer Pritsche. Offenbar hatte sie vorübergehend das Bewusstsein verloren. Lilian selbst fühlte sich hingegen weitaus besser. In der Kapsel, die John in ihren Mund geschmuggelt hatte, musste irgendetwas enthalten gewesen sein, das nicht nur ihre Beschwerden stoppte. Sie spürte, wie ihre Kraft zurückkehrte und sogar zu wachsen begann. Mit Leichtigkeit konnte sie Jenna anheben und sie in den Arm nehmen, wie ein Kind, das man in den Schlaf wiegt.
»Mir geht’s gar nicht gut«, flüsterte Jenna. »Hast du eine Ahnung, was für ein Zeug man mir gegeben hat?«
»Bleib ganz ruhig.« Lilian strich ihr sanft über das Haar. »Ich werde bei nächster Gelegenheit versuchen, Hilfe zu
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