Die Teufelshure
und düster zugleich. Hatte Madlen noch eben verzweifelt gehofft, dass es John und seine Kameraden waren, die sie gerettet hatten, so musste sie nun feststellen, dass sie die Stimmen von Wichfield Manor her kannte. Chesters Männer, war ihr letzter Gedanke, bevor sie eine gnädige Ohnmacht von ihrer Enttäuschung erlöste.
Edinburgh 1647 – »Tolbooth«
John kam nur langsam zu sich. Seine Zunge klebte am Gaumen. Als er sie löste, schmeckte er Blut. Seine Augenlider waren geschwollen, und sein Schädel dröhnte, als ob er zehn Nächte durchgezecht hätte. Erst als er sich den schmerzenden Nacken massieren wollte, bemerkte er die Ketten an seinem Handgelenk. Schlagartig öffnete er die Augen. Es war stockfinster und kalt und stank nach verfaultem Stroh, und da er etwas Pelziges an seinen Fingern spürte, schlug er zu – soweit es ihm möglich war. Ein schrilles Quieken bestätigte ihm, dass er getroffen hatte. Allmählich kehrte die Erinnerung zurück. Mein Gott, Madlen! Ein Feuerstoß schoss durch seine Adern und bewirkte, dass er sich zu schnell aufsetzte und selbst in absoluter Dunkelheit kreisende Sterne sah.
»John?«
Die brummige Stimme kam ihm bekannt vor.
»Paddy?«
»Herr im Himmel, alter Hundesohn, du lebst. Ich dachte schon, du wärst längst verreckt.«
Plötzlich kam John ein fürchterlicher Gedanke. Was wäre, wenn er erblindet war?
»Ich kann dich nicht sehen, Paddy«, krächzte er heiser. »Sag, haben wir Tag oder Nacht?« Johns Stimme spiegelte seine verhaltene Panik wider.
»Ruhig Blut, Junge«, beschwichtigte ihn Paddy. »Es ist Nacht, und dass du nichts siehst, liegt daran, dass man uns im sogenannten Thieves Hole eingesperrt hat.«
»Wo sind wir?«
»Im Canongate Tolbooth, in Edinburgh.«
»Canongate Tolbooth?« John hätte es ahnen können, und doch kam ihm Paddys Bestätigung unwirklich vor.
»Was hast du erwartet?« Der Ire klang fatalistisch. »Sei froh, dass sie uns nicht in den großen Tolbooth neben St. Giles gesperrt haben. Dort gibt es eine Folterkammer, die so manche Wache zu üblen Spielen mit den Gefangenen verleitet.«
»Wie kommt es, dass man uns hier eingelocht hat?« John war immer noch verwirrt. Es dauerte eine Weile, bis sich das Bild der vorangegangenen Geschehnisse langsam vervollständigte.
»Was dachtest du, Kumpel? Dass sie uns laufen lassen? Wenn du mich fragst, können wir froh sein, dass uns die Kerle nicht umgebracht haben. Schnell genug waren sie und unglaublich stark dazu. So etwas habe ich bisher noch nicht erlebt, und ich habe schon so manchen Kampf ausgefochten.«
John erwiderte nichts. Dabei musste er Paddy recht geben. Auch er hatte noch nie gegen einen solch überlegenen Gegner gekämpft.
»Hier, nimm das, mein Freund!« Die zittrige Hand des Iren fasste John am Ärmel seines Hemdes.
John tastete sich unbeholfen zu Paddys Händen hin.
»Vorsicht«, mahnte der Ire, als John eine allzu ungestüme Bewegung vollzog. »Es ist ein Becher mit Wasser – willst du alles verschütten?«
John grunzte ein kaum verständliches »Danke« und führte den Becher zu seinen ausgetrockneten Lippen. Er trank gierig und atemlos.
»Ich habe es extra für dich aufgehoben«, murmelte Paddy, »ich dachte, falls du doch wieder zu dir kommst, würde es dich freuen.«
»Das tut es, Mann, das tut es.« John war gerührt, während er sich den letzten Tropfen Wasser von den Lippen leckte. Paddys Hilfsbereitschaft bedeutete ihm weit mehr als ein kleiner Freundschaftsdienst. Es war ihm Beweis genug, dass er ihm offenbar nichts nachtrug. Möglicherweise hatte er ihm sogar verziehen, dass er ihn in eine solch schlimme Lage gebracht hatte. Das Wasser wirkte belebend, auch wenn es abgestanden schmeckte. Allmählich schlossen sich Johns letzte Erinnerungslücken.
»Was ist mit Madlen und dem Jungen?« Seine Stimme klang gehetzt. »Weißt du, ob sie entkommen konnten?«
»Madlen lebt.« Paddys Stimme war düster und hörte sich nicht an, als ob er sich freute. »Und soweit ich gehört habe, geht es ihr gut.«
»Und der Junge?« John dachte mit Schreck an den kleinen Mohren, der keine Wahl gehabt hatte, außer Madlen und ihm zu folgen.
»Beide wurden nach unserer unrühmlichen Niederlage angeblich unversehrt aus dem Leith Water gefischt. Allerdings hat niemand etwas darüber berichtet, wie sie dorthin gelangt sind.«
»Was ist mit Randolf?« Nach Madlen galt die zweitgrößte Sorge seinem norwegischen Kameraden, der wie Paddy nur durch seine Schuld in diese vertrackte
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