Die Teufelssonate
Sackgasse ein, als ein Handy klingelte. Er fischte es aus seiner Hosentasche. Es war nicht sein Handy, also vermutlich auch nicht seine Hosentasche. Das Gerät klang wie eine summende Mücke mit Orchesterbegleitung.
Es war Linda. Sie hatte Bröll am Apparat erwartet, erkannte die Stimme ihres Bruders aber sofort.
»Mischa? Wo steckst du?«
»Ähm … ich kann jetzt nicht reden. Warte, ich lege das Telefon schnell ab.«
Er brauchte beide Hände, um das Auto zu wenden. Es war länger, als er geschätzt hatte, nach dem Geräusch von knautschendem Blech zu urteilen, das er hinter sich hörte. Ein Laternenpfahl.
»Mischa, bist du noch da?«
Ihre Stimme tönte aus den Radioboxen, Bröll hatte offenbar eine Freisprechanlage.
»Ja, ich bin noch da, Linda.«
»Die Polizei sucht dich.«
»Das weiß ich.«
»Du warst gestern im Fernsehen.«
»Toll, was?«
»Ich meine nicht das Duell, sondern danach. Wie konntest du das nur tun, Mischa? Du warst sogar in den Nachrichten.«
»Äh …«
»Der Balkon, weißt du nicht mehr? Du warst ganz schön betrunken.«
Er erinnerte sich dunkel an einen Balkon. Leute, die hinaufschauten und ihm zujubelten. Er in seinem Siegesrausch mit geballten Fäusten, schon ziemlich blau, aber nicht sternhagelvoll. Was konnte er sonst noch Schockierendes getan haben auf einem ein mal zwei Meter großen Balkon?
»Nun, vielleicht wie ein Seiltänzer mit einer Flasche Whisky auf der hauchdünnen Brüstung balancieren? Und dann zwanzigmal hintereinander schreien, daß du der King of the world bist?«
»Ach das.«
Daran konnte er sich dunkel erinnern.
»Und du hast auch noch gerufen: ›Ich bin Kapitän Ahab, und wir essen heute abend Moby-Dick-Sushi. Ein dreifaches Hoch auf Kapitän Ahab.‹«
Daran entsann er sich nicht. Kein Wunder, daß die Polizei wußte, wo sie ihn suchen mußte.
»Linda, ich war vielleicht ein bißchen betrunken, aber ich fühle mich schon viel besser.«
»Das ist destruktives Verhalten. Wenn die Polizei dich nicht verhaftet, dann läßt Nicole dich zur Beobachtung einweisen.«
»Ich dachte, du würdest dich für mich freuen, Linda. Aber offenbar hast du mein Talent immer als Konkurrenz betrachtet.«
»Wo bist du genau? Dann kommen wir zu dir.«
»Ich muß los.«
Er wollte sie nicht verletzen, aber ihre Besorgtheit hatte oft einen eifersüchtigen Unterton. Dann klang sie wie eine Ex-Freundin. Sie mußte doch wissen, daß er immer zu ihr zurückkehren würde? War das nicht genug? Sie fing wieder an zu reden, aber er schaltete das Handy aus.
Die Polizei würde sicher bei ihm vor der Tür stehen, trotzdem wollte er kurz dort vorbeifahren. Er parkte den Wagen hundert Meter entfernt und stieg aus.
Es stand tatsächlich ein Streifenwagen vor seinem Haus.
Aber er hätte sowieso nicht in seine Wohnung gekonnt. Sein Schlüssel steckte natürlich in seiner eigenen Hose. Erst jetzt sah er, daß Brölls Hosenbeine ihm viel zu kurz waren; er fühlte den Wind an seinen Waden. Schnell stieg er wieder ein und zog sein Jackett an, das noch über dem Beifahrersitz hing.
Ein Umschlag fiel heraus.
Er erkannte das teure Papier sofort.
Geschlossenes Konzert
Teufelssonate, Franz Liszt
Ausführender: Mikhael Notovich
Beginn: heute abend, 20.00 Uhr
Wie war das Ding in seine Innentasche gekommen? Statt einer Adresse standen Zahlen darunter, mit denen er nichts anfangen konnte. Er starrte auf das Papier. Die Teufelssonate, gespielt von ihm selbst . Es war die allerletzte Herausforderung des verzweifelten Valdin. Doch er hatte nicht vor, noch einmal anzubeißen; er war nicht mehr neugierig auf die Komposition, wenn es sie überhaupt gab. Er hatte Valdin bereits gedemütigt. Das Duell hatte vielleicht nicht das Niveau gehabt, das er sich erhofft hatte, aber das war nun nebensächlich.
Er nahm wieder das Handy und rief seine eigene Nummer an. Dreimal meldete sich die Mailbox, ehe jemand dranging.
»Hmm …« Es waren schmatzende Laute zu hören. »Ja?«
»Bröll, in meiner Hosentasche steckt ein Zettel mit einer Telefonnummer. Hol sie mal schnell, sie liegt neben dem Bett.«
»Warum steckst du denn nicht in dieser Hose?«
»Ich hab deine an.«
»Oh. Und mein Handy? Sag nicht, daß du mein Handy auch hast …«
»Und ich habe mir dein Auto geborgt.«
»Mein Auto? Laß ja die Finger davon. Das ist eine Leihgabe von Luboš. Schwör mir, daß du nicht mit diesem Auto …«
»Nun mach schon.«
Es dauerte ein paar Minuten, bis Bröll die Nummer von
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