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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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sie sich in seiner Wohnung, als wäre sie dort zu Hause. Sie hatte die Angewohnheit, alles, was sie sah, aufzuheben und achtlos woanders hinzulegen: Bücher auf die Spüle, Bürsten aufs Fensterbrett, Socken aufs Klo, und eines Tages hing ein Pullover von Notovich wie eine Gardine vorm Fenster. Als er die Vorhänge zuzog, um zu zeigen, daß das viel praktischer sei, schaute sie ihn an, als habe er gerade eine neue wissenschaftliche Entdeckung gemacht. Sie konnte auch keine Pflanze betrachten, ohne sie zu nehmen und irgendwo anders wieder abzustellen.
    Und immer, wenn sie auf dem Weg zu ihm ein krankes Vögelchen oder Tierchen fand, brachte sie es mit. In Notovichs Küche standen Schachteln in allen Sorten und Größen, mit Küchenpapier oder Stroh gefüllt. So gab es für jedes neue Opfer einen Platz. Manchmal sorgte sie dafür, aber dann ließ sie sich wieder tagelang nicht blicken. So starben sie alle, und Notovich begrub sie. Wenn Senna zurückkehrte, interessierte sie sich nicht mehr dafür.
    Für einen Außenstehenden wirkte es vielleicht, als wären sie ein Liebespaar, doch sie blieb nie über Nacht, und sie gingen nicht miteinander ins Bett. Notovich wunderte sich zunächst darüber. Senna war nicht prüde. Wenn es warm war, lief sie in Unterwäsche durchs Haus, und sie schloß nie die Tür, wenn sie auf dem Klo war. Aber jedesmal, wenn sie einander näher zu kommen schienen, wich sie ihm aus.
    Anfangs dachte er, daß sie den Moment hinauszögere, um die Spannung zu erhöhen. Oder daß sie sich erst von seinen guten Absichten überzeugen wolle. Später fing er an zu zweifeln. Fühlte sie sich überhaupt zu ihm hingezogen? Womöglich betrachtete sie ihn nur als Freund? Aber nein, dafür war ihr Verhältnis zu intim. Vielleicht ja zu intim, vielleicht war es ihr zu viel Nähe. Er wußte genau, daß sie mehr für ihn empfand.
    Möglicherweise hatte sie gerade eine schlechte Erfahrung hinter sich, oder irgendein Trauma aus ihrer Jugend. Er beschloß, sie nicht zu drängen. Er war viel zu glücklich, daß sie da war, und redete sich ein, es sei überhaupt nicht nötig, miteinander zu schlafen. Es müsse spontan passieren oder gar nicht.
    Doch er konnte es nicht lassen, sie hin und wieder zu streicheln. Und als sie sich eines Abends beim Lesen an ihn lehnte, vermochte er sich nicht mehr zu beherrschen. Er beugte sich zu ihr und küßte sie auf die Stirn, dann auf die Wange, den Mund. Sie ließ ihn ruhig gewähren, reagierte aber kaum. Er begnügte sich damit.
    Seit ihrer Begegnung im Garten hinter seinem Übungsraum hatte sie ihn nicht mehr spielen hören. Er hatte sie zwar mal gebeten mitzukommen, aber sie hatte keine Lust gehabt. Er vermutete, daß sie nicht an den Ort zurückkehren wollte, wo der andere Mann wohnte. Sie sprach nie darüber. Notovich übte nicht mehr richtig. Er spielte mechanisch, war mit dem Herzen nicht dabei. Sein Ehrgeiz war verschwunden.
    Es machte ihm immer mehr zu schaffen, wenn sie ein paar Tage nicht auftauchte, ohne Bescheid zu sagen, wo sie war. Er hatte immer stärker das Bedürfnis, bei ihr zu sein, neben ihr zu liegen, mit ihr eins zu sein. Doch er hatte Angst, davon anzufangen, Angst, etwas kaputt zu machen.
    Manchmal war sie unerklärlich trübsinnig.
    »Vielleicht bist du gar nicht gut für mich«, sagte sie eines Abends, während sie hinausstarrte. »Vielleicht sollte ich dir lieber aus dem Weg gehen.«
    »Was meinst du damit? Was habe ich falsch gemacht?«
    »Wir sind einander zu ähnlich. Tief im Inneren hast du ein schwarzes Loch, das alles einsaugt, was in seine Nähe kommt, genau wie ich. Wenn wir nicht aufpassen, richten wir uns gegenseitig zugrunde.«
    »Ich kann nichts Dunkles an dir finden. Und ich habe meiner Meinung nach auch kein schwarzes Loch in mir.«
    Da lachte sie auf einmal wieder und sagte, daß er lieb sei. Sie umarmte ihn. Er hielt sie ganz fest und küßte sie auf den Mund. Aber als er weitergehen wollte, hinderte sie ihn daran.
    »Warum nicht? Senna, ich verstehe es nicht.«
    »Was du brauchst, ist eine große unglückliche Liebe«, sagte sie. »Das ist die Triebfeder aller großen Künstler.«
    »Ich habe lieber eine große glückliche Liebe.«
    »Dazu hast du kein Talent. Du bist genau wie ich.«
    »Das klingt deprimierend.«
    »Nein. Wenn wir jetzt miteinander ins Bett gehen, dann verlierst du deine Intensität und Inspiration.«
    »Und wenn mir das nun egal ist?«
    »Unsinn, Mischa. Musik ist deine große Liebe. Da will ich nicht

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