Die Teufelssonate
dazwischenkommen.«
Zuerst wollte sie fast nie mit ihm ausgehen oder Spaziergänge machen. Doch eines Abends konnte er sie überreden, ihn in ein Viertel außerhalb des Zentrums zu begleiten. Anfangs lief sie unbehaglich neben ihm her, als fürchte sie, jeden Moment ertappt zu werden. Notovich hatte das schon öfter bemerkt, wenn sie zusammen draußen waren. Vielleicht hatte sie immer noch Angst vor diesem anderen Mann, er fragte aber nie danach.
Sie kamen an einem großen Laden vorbei, in dem neue und restaurierte Flügel verkauft wurden. Senna zog ihn hinein. Der Laden war altmodisch eingerichtet, mit lauter roten Plüschstühlen. Es waren keine Kunden da.
»Spielst du mir etwas vor?« bat sie. Ein älterer Verkäufer mit struppigem Kopf kam aus einer Kammer hinten im Laden. Notovich fragte, ob er ein paar Klaviere ausprobieren dürfe. Der Mann musterte ihn kurz und schlußfolgerte offenbar, daß es nichts zu verdienen gab. Er machte eine träge wegwerfende Handbewegung und verschwand wieder in seinem Kämmerchen. Notovich lief an den Reihen entlang, schlug hier eine Taste an, dort einen Akkord.
»Das ist es!« rief Senna plötzlich.
Er drehte sich um und sah sie auf einem großen, braunen Flügel liegen.
»Komm von dem Ding runter, der wirft uns raus!«
»Dieser Mann kann gar nicht mehr werfen«, lachte sie. »Das ist dein Klavier, ich weiß es einfach. Ihr gehört zusammen.«
Der Flügel hatte einen ungewöhnlich reichen, warmen Klang. Die Mechanik lief wie geschmiert, Läufe und Arpeggien flossen fast mühelos heraus. Mit diesem Instrument konnte er alles: singen, brüllen und flüstern. Auf so etwas hatte er noch nie gespielt. Es fühlte sich an, als sei dieser Flügel eine Verlängerung seiner selbst.
»Spiel was für mich, mein Liebster.«
»Sagtest du gerade ›mein Liebster‹?«
»Natürlich, das gehört doch dazu?«
Notovich begann mit einem Präludium, aber Senna unterbrach ihn schon nach zwei Akkorden.
»Nichts für dich.«
»Das ist Rachmaninow.«
»Egal, der paßt nicht zu dir.«
Er stimmte Sonaten von Chopin, Beethoven und Brahms an, doch auch die wollte sie nicht hören. Auf einmal erinnerte er sich, was er ihr im Garten vorgespielt hatte.
»Vielleicht magst du lieber Liszt.«
»Es geht nicht darum, was ich mag«, sagte sie, »es geht darum, was zu dir paßt, welcher Komponist ausdrücken kann, was in dir steckt.«
So hatte er es noch nie betrachtet. Er fand immer, daß ein Pianist jedes Repertoire bewältigen, jeden Stil beherrschen müsse, von Bach bis Messiaen. Aber in Sennas unnachahmlicher Logik war der Pianist selbst ein schaffender Künstler. Die Wahl seines Repertoires war eine Form der Selbstexpression.
Er spielte Sonetto 104 del Petrarca für sie. Ob es nun an dem Flügel lag oder an Senna oder an Liszt, wußte er nicht, aber er hatte das Gefühl, in eine andere Welt versetzt zu werden. Senna war gerührt.
»Mal sehen, ob dieser Flügel etwas mehr Feuerwerk verkraftet«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Noch was von Liszt?«
Sie nickte.
»Dann das Vallée d'Obermann . Dieses Stück schrieb Liszt, als er mit Marie d'Agoult durch die Schweiz und Italien reiste. Liszt ließ sich von allem inspirieren. Sein Werk enthält Reiseimpressionen und Eindrücke, die er gewann, wenn er ein Gemälde sah oder ein Gedicht las.«
»Wer war denn diese Marie?«
»Seine große Liebe. Es muß eine ganz besondere Frau gewesen sein. Sie war adlig und noch dazu mit irgendeinem Grafen verheiratet. Und trotzdem gab sie alles auf, um mit Liszt in die Welt hinauszuziehen. Sehr mutig in dieser Zeit. Es löste einen unerhörten Skandal aus. Liszt war damals weltberühmt, er galt als der größte Pianist aller Zeiten.«
»Und dann?«
»Ihre Beziehung hat nur ein paar Jahre gehalten.«
»Eine unglückliche Liebe also«, sagte sie zufrieden. »Spiel es für mich.«
Der Flügel klang voll und reich in den tieferen Regionen und funkelte in den höheren. Notovich fühlte sich eins mit der Musik, es war, als habe er seinen Platz im Leben gefunden. Als er fertig war, sah er, wie sich Senna die Tränen wegwischte.
»Du darfst nur noch Musik von Liszt spielen. Das mußt du mir versprechen.«
»Das ist aber ein bißchen einseitig.«
»Du mußt das machen, worin du gut bist. Warum solltest du dich mit weniger zufrieden geben? Sieh dir doch Liszt und seine Liebe Marie an.«
»Willst du dann meine unglückliche Liebe sein?«
Sie grinste und rutschte auf dem Bauch ein Stückchen auf ihn zu, um
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