Die Teufelssonate
schmerzhafter ist als beim ersten Mal. Denn eines kann ich dir vorhersagen: Die Euphorie verflacht im Laufe der Jahre immer mehr, die Depressionen werden dafür immer tiefer.«
Es folgte eine verbissene Diskussion, die fast eine Stunde dauerte. Dann hatte Notovich genug von dem ganzen Gerede.
»Nicole, mit Chemie zu leben ist kein richtiges Leben. Mein Entschluß steht fest.«
Zu seiner Verwunderung erschien ein müdes Lächeln um ihren Mund.
»Das steht dir natürlich frei, Mikhael. Du bist erwachsen und triffst letztendlich deine eigenen Entscheidungen. Du kennst die Risiken, aber ich kann dich zu nichts zwingen. Du weißt, wo du mich findest.«
Und dann umarmte sie ihn wie eine Mutter, die sich für immer von ihrem Sohn verabschiedet.
31
E r sah Vivien regelmäßig. Er wußte, daß seine Gefühle für sie auf einer Lüge beruhten, doch er konnte nicht ohne diese Lüge leben. Vielleicht würde er durch sie wieder zur Inspiration in ihrer reinsten Form finden, der Inspiration, die Liszt zu einem der größten Künstler aller Zeiten gemacht hatte.
Vivien hatte es immer schwerer bei Valdin. Sie fühlte sich stark genug, ihn zu verlassen, aber Notovich schien es viel zu früh. Jeden Abend schickte er sie zurück.
»Ich will nicht, ich ertrage seinen Blick nicht mehr. Er ahnt, daß etwas zwischen uns ist.«
»Ach was, er kann sich nicht einmal vorstellen, daß eine Frau auf einen anderen fliegen könnte. Du mußt noch ein bißchen durchhalten, bis zum Duell.«
»Aber was ist, wenn er entdeckt, daß es ernst ist zwischen uns? Er tut mir was an.«
»Ich beschütze dich.«
»Warum kann ich nicht einfach hierbleiben?«
Vivien war die einzige, die Valdin beobachten konnte. Wenn sein Rivale etwas plante, würde er es über sie erfahren. Das hoffte er zumindest. Denn tief im Inneren hatte er noch Zweifel, ob Vivien ganz offen zu ihm gewesen war. Auch darum hielt Notovich sie vorläufig auf Distanz. Und darum übte er jetzt Tag und Nacht. Tagsüber, wenn Vivien dabei war, trainierte er vor allem seine Technik mit Kompositionen, die er nicht beim Duell spielen würde. Und nachts, wenn sie wieder bei Valdin war, übte er sein wirkliches Programm. Wo er die Energie hernahm, war ihm selbst nicht klar. Es war, als könne er sie direkt aus dem Sonnenlicht auffangen. Und das wunderte ihn nicht einmal.
In der folgenden Nacht improvisierte er zum ersten Mal etwas im Stil von Liszt. Er begann mit langsamen, einzelnen Noten. Vorsichtig und fast berechnend. Er wollte sich nicht in einem Strudel von Gefühlen verlieren. Aber allmählich baute er die Motive zu schwereren Akkorden und größeren Gesten aus. Und schließlich erhob sich eine Kathedrale von Klangharmonien und thematischen Einfällen, die inventiv und doch ausgewogen war. Als er den letzten Akkord gespielt hatte, starrte er noch einen Moment auf die Tasten, erstaunt über das, was er gerade gehört hatte.
Am nächsten Abend konnte er es kaum erwarten, daß Vivien aus dem Haus war. Er schloß schnell die Fenster und Vorhänge und setzte sich an den Flügel. Heute mal ein Thema von Liszt selbst – einfach spielen und schauen, wo er ankommen würde.
Aber als er gerade angefangen hatte, stand Vivien wieder im Zimmer, mit ihrer Handtasche und einem treudoofen Grinsen.
»Ich habe dich auf der Straße spielen gehört«, sagte sie unschuldig. »Ich dachte, du bist fertig mit dem Üben.«
»Bin ich auch.«
»Es klang spannend. War das eine Improvisation?«
»Muß ich dich dafür um Erlaubnis bitten?«
»Das sage ich doch gar nicht.«
»Ich habe nur ein bißchen herumgeklimpert, mehr nicht. Was willst du eigentlich?«
»Meine Tasche holen. Oder muß ich dich dafür um Erlaubnis bitten? Mein Gott!«
Sie schlug die Tür hinter sich zu.
Notovich konnte in dieser Nacht nicht mehr spielen und wälzte sich in seinem Bett. War Vivien absichtlich zurückgekommen, oder wurde er langsam paranoid? Unsinn. Natürlich vertraute er Vivien immer noch; er würde sich morgen wieder mit ihr vertragen. Aber man durfte Valdins Überzeugungskraft nicht unterschätzen. Dieser Mann wollte ihn um jeden Preis demütigen. Er mußte also mit der Möglichkeit rechnen, daß sie Valdin erzählen würde, daß Notovich vorhatte, bei dem Duell zu improvisieren. Valdin würde das schon aus ihr rauskriegen, und dann würde er sicher genau wissen wollen, welche Themen Notovich zum Ausgangspunkt nehmen würde.
Der warme Schein der Laterne vor seinem Schlafzimmer ging allmählich in kühle
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