Die Teufelssonate
ihrer Beziehung und das Motiv für den »Mord« kamen ans Licht. Als die Flut von Gerüchten und Halbwahrheiten gerade nachzulassen schien, verplapperte sich die Schwägerin eines Polizeibeamten. Sie verriet, daß Notovich erst vor ein paar Wochen noch verhört worden war. Und so rollte die Lawine weiter. Inzwischen war auch eine politische Unruhe ausgebrochen. Der Außenminister lag mit seinem französischen Kollegen über einen Handelsvertrag mit China im Clinch. Und irgendwie war seine Verärgerung über die Starrheit der Franzosen in den Verhandlungen übergeschlagen auf die Ermittlungen in Sachen Notovich. Notovich sei ein großer Name, und der dürfe nicht unnötig von der französischen Polizei besudelt werden, fand die Regierung auf einmal. Die Franzosen kochten. Es war auch keine besonders kluge Äußerung des Ministers gewesen, und die Polizei teilte seine Meinung wahrscheinlich nicht. Notovich hatte den Eindruck, daß die Kripo ruhig abwartete, bis der Sturm vorüber war. In der Zwischenzeit machten sie einfach ihren Job. Zweimal hatte er auf der Straße das starke Gefühl gehabt, verfolgt zu werden. Darum blieb er soviel wie möglich drinnen und konzentrierte sich auf seine Arbeit.
Natasja mußte aus der Zeitung erfahren, was Notovich vorhatte. Er log sie an, daß sie einander jetzt weniger sehen könnten, weil er üben müsse. Er hatte ihr geraten, sich auch wieder ihrem Studium zu widmen. Sie sei eine junge Pianistin mit Leidenschaft für ihr Fach, es wäre eine Sünde, das alles zu vergeuden. Zumal an einen egomanen Pianisten, der hinter ihrem Rücken das Bett mit einer anderen teilte, weil er die Vergangenheit nicht loslassen konnte. Aber das hatte er nicht dazugesagt. Er würde es ihr später erklären.
Natasja kehrte widerwillig in ihre kleine Studentenbude zurück und nahm noch widerwilliger ihr Studium wieder auf. Mit einem untrüglichen Gefühl für Selbstzerstörung weigerte sie sich, für eine wichtige Prüfung zu lernen, und tauchte unvorbereitet bei einem Vorspielnachmittag des vierten Studienjahres auf.
Zu seiner Verwunderung vermißte er sie. Nicht nur ihren musikalischen Beitrag, sondern auch ihre frische Anwesenheit. Er versuchte, nicht daran zu denken. Je mehr er mit ihr umging, desto mehr würde er ihr weh tun. Glücklicherweise kannte er die meisten Stücke, die er bei dem Duell spielen wollte, bereits, dafür brauchte er sie nicht. Seine Strategie stand fest.
Linda kam kurz vorbei und erkundigte sich, ob sie noch was einkaufen solle.
»Nein, das mache ich schon selbst.«
Es gab etwas anderes, das er sie fragen mußte, doch er wußte nicht, wie er das so beiläufig wie möglich tun könnte. Sie hatte vor ein paar Tagen seine Wäsche gewaschen und gebügelt zurückgebracht, aber das T-Shirt, auf dem Sennas Blut gewesen war, fehlte.
»Übrigens danke für die Wäsche. Hilft mir wieder eine Weile weiter.«
Sie strich ihm über den Kopf.
»Ich muß weg. Ich will mit Wim essen gehen.«
»Ich kann nur das T-Shirt nirgends finden.«
»Welches T-Shirt?«
»Du weißt schon, wo die Flecke drauf waren. Blutflecke.«
»Echt? Dann hab ich es wohl aus Versehen bei Wim in den Schrank gelegt. Ich seh heut nachmittag mal nach. Wenn du versprichst, bei Nicole vorbeizugehen.«
Sie lag ihm schon seit Tagen in den Ohren.
»Okay. Ich schaue, ob sie heute abend Zeit hat.«
Dabei brauchte er gar keine Therapie; er würde allen beweisen, daß er keine brauchte.
Das Gespräch mit Nicole verlief zunächst normal. Sie hielt ihm keine Predigt. Sie schaute nicht besorgt. Er erzählte ehrlich, was er dachte und fühlte.
Dann kam die unvermeidliche Frage.
»Nimmst du deine Tabletten noch, Mikhael?«
»Nein. Und du wirst sicher anderer Meinung sein, aber ich weiß genau, daß ich sie nicht mehr brauche.«
Der Ausdruck auf Nicoles Gesicht war ein Meisterwerk an Selbstbeherrschung. Ihre Lippen saugten sich fast unmerklich nach innen und bekamen eine blasse, bläuliche Farbe. Sie richtete ihren Blick auf einen Punkt in der Unendlichkeit, dann wieder auf ihn.
»Das ist sehr gefährlich für jemanden in deinem Zustand.«
»Ich war depressiv, aber jetzt nicht mehr.«
»Du warst mehr als depressiv.«
»Aber jetzt nicht mehr.«
»Das ist gerade die große Fallgrube.«
»Nicht, wenn ich recht habe.«
»Wenn du deine Medikamente nicht nimmst, denkst du, daß du der ganzen Welt gewachsen bist. Daß du fliegen und zaubern kannst. Und danach erlebst du einen Absturz, der viel tiefer und
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