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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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seinen Flügel bestimmt irgendwo in die Mitte des Bunkers gestellt; das würde Notovich selbst auch tun. Jetzt erst fiel ihm auf, daß seine Schuhe ein hohes, saugendes Geräusch machten. Er zog sie aus und sah, daß seine Wade immer noch blutete. Auf dem Boden war eine Blutspur. In einem Putzschrank fand er einen muffig riechenden Scheuerlappen, den er sich ums Bein band. Er lief weiter den Gang entlang und kam an eine Kreuzung: auf beiden Seiten lagen Gänge mit Türen. Links brannte Licht. Auch hier war kein Laut zu hören. Er probierte eine Tür nach der anderen. Die dritte gab in klein wenig nach. Er legte sein Ohr an das schwere Holz.
    Keine Musik.
    Vorsichtig versuchte er, die Tür weiter aufzudrücken, aber es gelang nicht. Er stieß mit der Schulter dagegen, und sie öffnete sich mit einem trockenen Geräusch. Weißes Neonlicht fiel in den Gang. Es war ein Raum mit Reglerpulten neben einem Studio. Durch die gläserne Zwischentür drang Musik. Es war niemand anderes da. Valdin konnte ihn nicht hören. Notovich ließ die Tür angelehnt und setzte sich auf den Fußboden. Die Musik klang dumpf und weit entfernt, doch er konnte die meisten Töne erkennen.
    Valdin spielte ein Stück, das er nicht kannte, aber es war von Liszt, da war er sich ganz sicher. Außerdem war es keine Improvisation. Dafür war es zu perfekt. Die Komposition begann mit einem einfachen Motiv aus wenigen Noten, die man mit einem Finger spielen konnte. Und doch hatte es von Anfang an etwas Mitreißendes, etwas Betörendes. Das simple, kindliche Motiv wurde nun mit rhythmischen Dissonanzen ausgebaut, die über die Tasten sprangen wie tanzende Hexen, von den tiefen Tönen links bis zu den hohen rechts. Der Komponist sog einen hinein in sein Universum.
    Es war, als höre er Liszt zum ersten Mal. Die Empfindung war genauso stark wie damals, als sein Vater ihn als Zwölfjährigen in ein Konzert des russischen Meisterpianisten Lazar Berman mitgenommen hatte, der im Concertgebouw den Danse Macabre spielte. Dieselbe Kraft und Subtilität, verspielt und verführerisch, mit scharfen Harmonien und sich überschlagenden Motiven. Aber mit einer schaurigen, gespenstischen Atmosphäre, die das Gefühl heraufbeschwor, daß der Tod anwesend sei und mit einem tanze.
    Ein Danse macabre schien es zu sein, keine Sonate.
    Valdin war nun beim Mittelteil angelangt. Notovich wollte ein Stück weiter in den Raum hineinkriechen, um die Musik besser hören zu können, als er an seinem Ohr ein Hecheln vernahm.
    Es war ein Dobermann.
    An dem Dobermann hing ein Mann in Uniform, der etwas in sein Walkie-Talkie sprach. Der Geifer aus dem Maul des Wachhundes fiel auf Notovichs blutende Wade. Mit aller Kraft, die er in sich hatte, pflanzte Notovich seine Faust in die feuchte Schnauze des Tiers. Der Dobermann krümmte sich winselnd zusammen. Dann trat Notovich dem Wächter gegen die Kniescheibe und lief halb stolpernd aus dem Gang. Während er sich der Tür näherte, hörte er, daß Valdin einfach weiterspielte, nicht ahnend, was da gerade vor sich ging. Wieder ertönte das rätselhafte Motiv, das so vertraut erschien und doch so fremd, als ob es aus einer anderen Welt käme.
    Er rannte auf bloßen Füßen in den Wald, gefolgt von dem fluchenden, hinkenden Wächter und dem aufs äußerste gereizten Hund. Und während Notovich nach zehn Metern bereits außer Atem geriet und in der Ferne ein Auto kommen hörte, fragte er sich, ob es wirklich so etwas wie eine Teufelssonate geben konnte. Und ob es möglich war, daß er diese Musik früher schon einmal gehört, aber vergessen hatte. Oder daß er diese Melodie aus seinem Gedächtnis hatte verschwinden lassen, in der Hoffnung, nie mehr erfahren zu müssen, was für eine Welt der Düsternis sie in ihm wachrief.

33
    S ie setzten Notovich in ein kahles Vernehmungszimmer, verhörten ihn aber vorläufig nicht. Sie brachten ihm alle halbe Stunde Kaffee (von dem er Magenkrämpfe bekam) und Kekse (die eine glasige Fettschicht auf seinen Fingern hinterließen). Er versuchte, nicht auf seinen schmerzenden Hintern und das brennende Gefühl zu achten, das von seiner Wade zu seinen Schenkeln zog. Er philosophierte über die Auswirkung von Neonlicht auf den menschlichen Geist. Wäre je romantische Klaviermusik geschrieben worden, wenn Wohnungen und Konzertsäle im neunzehnten Jahrhundert mit Neonröhren statt Kerzen beleuchtet gewesen wären?
    Durch das vertikale Fenster in der Tür sah er, wie Van der Wal sich mit einem der Polizisten beriet,

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