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Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid

Titel: Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Camilla;Träff Grebe
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beschreiben?«
    »Das ist so schwer.«
    »Dann erzählen Sie mir, wann es das letzte Mal dazu gekommen ist.«
    »Es war gestern Abend. Wir… wir haben gegessen und Wein getrunken. Sie, also meine Freundin, wurde müde und wollte sich ausruhen. Sie hat sich aufs Bett gelegt und schlief. Und ich sah vor mir, wie ich … wie ich …wie unglaublich leicht es wäre, ihr die Hände um den Hals zu legen und einfach zuzudrücken. Ich sah, wie klein und verletzlich sie ist und wie unglaublich leicht es wäre, ihr Schmerz zuzufügen.«
    »Und wie haben Sie diese Gedanken empfunden?«
    »Ich weiß es nicht. Zunächst waren sie fast erregend. Aber dann habe ich eine Wahnsinnsangst bekommen. Wenn ich ihr nun wirklich etwas antun würde. Ich liebe sie doch.«
     
    Ich stoppe den Film wieder, und Peters Körper erstarrt in einer sonderbaren Haltung, halb abgewandt, halb vorgebeugt, beide Hände vor dem Gesicht. Er ist verzweifelt, vollkommen desperat, fühlt sich einsam, diesem grünen Sprechzimmer ausgeliefert, mit seinen unpersönlichen Bildern und dem kleinen Tisch, hinter dem ich quasi als Rettungsring sitze und auf dem die Kleenexpackung ihren albernen Trost spenden will.
    Man soll seinen eigenen Augen, seiner Intuition und seiner gesammelten Erfahrung vertrauen, das hat Stefan immer erklärt, und er war ein hervorragender Praktiker. Wenn ich es wagen würde, meinen eigenen Sinnen zu trauen, dann würde ich behaupten, dass Peter Carlsson Sara nicht getötet haben kann, dass er Marianne nicht verletzt oder einen Komplott gegen mich geschürt haben kann. Peter ist kein Mörder, er ist
nur ein ganz normaler, leicht verrückter, neurotischer Mensch. Einer von all denen, die all ihren Mut aufbringen müssen, um ihr Leben am Laufen zu halten, um den Tagen und Nächten Struktur zu geben. Einer von all den empfindsamen Menschen, die immer nur einen Augenblick nach dem anderen meistern können, um die Zeit zu bezwingen: So ein Mensch bin ich auch.
    Ich schließe die Augen und streiche mit der Hand über die Videobänder, die ich auf dem Boden um mich herum ausgebreitet habe. Hier sind sie gesammelt, alle Zwangsvorstellungen, alle Ängste, alle Tränen. Hier ist Saras dünner, schwarz gekleideter Körper, ihre vernarbten Arme, die grünen Fingernägel und die obligatorische Zigarette. Hier gibt es Charlottes Perlenkette, ihre Kostüme und ihre sorgfältig artikulierten, geduldigen Antworten auf meine aufdringlichen Fragen. Hier ist der Mann mit den kräftigen Muskeln und dem Bart, der eine Harley Davidson fährt, aber Angst vor Ameisen hat (»und anderes Kriechzeug mit so vielen dünnen Beinchen«). Hier ist die Mutter, die alle Messer und Scheren im Gartenschuppen versteckt hat, weil sie Zwangsvorstellungen hatte, dass sie ihrem Sohn die Augen ausstechen könnte. Hier gibt es den Geschäftsführer, der jedes Mal, wenn er eine Treppe hinaufging, gezwungen war, bis hundert zu zählen, der außerdem immer seitwärts durch Türen ging und gezwungen war, sein Auto auf einem Parkplatz mit einer Nummer zu parken, die durch drei teilbar war. All diese Menschen, nicht merkwürdiger als ich selbst, nicht verrückt oder böse, einfach Individuen, die versuchen, die Nähte, die ihre schwarzen Löcher zuhalten, zu bewahren, die sich Tag für Tag um die Katastrophe herummanövrieren.

     
    Sorgfältig bereite ich mir mein Weihnachtsessen. Ich schalte den Backofen ein, schneide Brot in dünne Scheiben und lege Ziegenkäse und Honig darauf, decke außerdem die fertig gekauften gefüllten Weinblätter und den Humus auf. Ich schalte Musik ein, lasse Belle & Sebastian mein Wohnzimmer ausfüllen. Draußen vor dem Fenster setzt die Dämmerung ein. Die Meeresbucht schläft unter einer glänzenden, dicken Schneedecke, die Kiefern um die Klippen zeichnen sich schwarz vor dem sich verdunkelnden Himmel ab. Ich bin froh, dass ich hergekommen bin.
    Ich gehöre nicht in die Stadt.
    Als die samtweiche Dunkelheit des Weihnachtsabends mein Häuschen umhüllt, habe ich bereits seit langem jede Lampe eingeschaltet, jede Ecke erleuchtet, den Tisch mit brennenden Kerzen dekoriert. Ich liege auf meinem Bett und schaue die schwarze Fensterscheibe an, sie reflektiert die Konturen des Raums wie ein Spiegel. Die Taschenlampe liegt in meiner Hand. Der Wein hat mich müde gemacht, und ich schließe die Augen und gestatte dem Körper, wegzutreiben.
    Ich träume, dass ich Weihnachten mit Stefan feiere. Der Boden ist bedeckt von Paketen in unterschiedlicher Größe und Farbe.

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