Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
reden. Mein Sohn ist hier. Und seine Freundin. Sie sind gerade aus Indien
zurückgekommen. Ja, wir schauen uns gerade die Landkarte an. Könntest du nicht etwas später bei mir vorbeikommen? Es gibt da etwas, das ich dir zeigen möchte.«
Das ist eine ungewöhnliche Anfrage. Marianne und ich haben normalerweise keinen privaten Kontakt.
»Es ist wichtig. Sonst würde ich dich nicht darum bitten«, fügt sie mit leiser, gepresster Stimme hinzu.
»Marianne«, sage ich, und ein Teil von mir möchte laut auflachen.
Die ordentliche, tüchtige, wunderbare Marianne, die immer eine Lösung für alle Probleme hat, die immer die Ruhigste ist und als Letzte von allen die Praxis verlässt. Plötzlich erkenne ich sie nicht wieder. Ihre heisere, mich drängende Stimme, diese gehetzte Art, das sieht ihr gar nicht ähnlich.
»Geht es um Leben und Tod?«
Ich will gar nicht neckisch klingen, es rutscht mir einfach so heraus. Marianne seufzt.
»Ich bitte dich, Siri, kannst du nicht einfach bei mir vorbeikommen?«
Einen Moment lang zögere ich. Marianne wohnt im Karlbergsvägen, wie ich es auch drehe und wende, das wird ein Umweg.
»Und wann soll ich kommen?«
»Komm doch so gegen sieben. Ich laufe schnell runter und hol uns ein paar Kuchen, dann können wir Kaffee trinken. Und könntest du Svens Berichte mitbringen, die auf seinem Schreibtisch liegen? Ich habe sie gestern nicht alle geschafft. Dann kann ich sie heute Abend noch fertig machen.«
Dann arbeitet Marianne also abends noch für Sven? Wut steigt in mir auf. Soweit ich weiß, hat sie noch nie abends für mich oder Aina gearbeitet.
Wir legen auf, ohne dass ich Genaueres darüber wüsste, was
Marianne mir nun so schrecklich gern ausgerechnet an diesem Abend zeigen will, und ich gehe zurück in mein Zimmer, um den Computer wieder einzuschalten und noch eine Weile zu arbeiten.
Mariannes Wohnung liegt im dritten Stock in einem protzigen Mietshaus von der Jahrhundertwende. Ich war schon einmal hier, als Aina, Marianne und ich in die Kneipe gehen wollten in einem Versuch schwesterlicher Gemeinschaft. Die Klingel klingt dumpf und schnarrend, als ich auf den kleinen Messingknopf drücke, aber die Tür bleibt geschlossen. Zaghaft lege ich mein Ohr auf die kalte, lackierte Eichenoberfläche und lausche angestrengt, höre aber nur Stille. Kein Schritt, der auf mich zukommt. Ich reibe meine kalten Finger aneinander und gehe ein paar Schritte zurück, schaue durch das Flurfenster hinaus, auf die Straße. Alles ist still. Der kleine gepflegte Vorgarten liegt verlassen da, genau wie der daneben und alle anderen. Eine Perlenkette von ordentlichen kleinen Teppichen vor den geputzten Häusern. Plötzlich meine ich eine Bewegung zwischen den Bäumen auf der anderen Straßenseite wahrzunehmen. Da! Ein Mann in einem Trenchcoat mit Kinderwagen und Einkaufstüten eilt in der Dunkelheit in Richtung St. Eriksplan. Ich schüttle den Kopf über meine eigene Phantasie und drücke noch einmal auf Mariannes Klingel, ohne Resultat.
Nichts passiert, auch nicht, als ich durch den Briefschlitz rufe. Vorsichtig drücke ich die Messingkanten der kleinen Luke hoch, so dass ich die Konturen des Flurteppichs drinnen erahnen kann. Es ist dunkel. Der Duft von Kaffee und dem Parfüm, von dem ich weiß, dass Marianne es benutzt, sickert durch den Briefschlitz ins Treppenhaus. Eine leise Stimme
murmelt monoton von da drinnen, ohne von mir Notiz zu nehmen. Ich vermute, dass der Fernseher läuft.
»Marianne? Ich bin’s, Siri. Bist du da? Marianne?«
Vorsichtig drücke ich die Türklinke hinunter, und die Wohnungstür öffnet sich ohne jeden Widerstand, was mich beunruhigt, denn es sieht Marianne nicht ähnlich, die Wohnungstür unverschlossen zu lassen.
Ich taste auf dem Flur nach dem Lichtschalter, und plötzlich erstrahlt der Raum in weichem, gelbem Licht. Abgeschliffene Kiefernbohlen, ein kleiner Flickenteppich auf dem Boden und eine Garderobe rechts von mir. Spiegel bedecken die Wand gegenüber der Tür, und ich zucke zusammen, als ich mein eigenes, erschrockenes Gesicht sehe. Schnell trete ich ein und mache die Tür hinter mir zu. Sie fällt mit einem Klickgeräusch ins Schloss.
»Marianne«, versuche ich es wieder, während ich in das Wohnzimmer links vom Flur gehe. Es ist in einer Art und Weise eingerichtet, wie es meine Eltern gemocht hätten. Geschwungene Sessel mit buntem, grob gemustertem Josef-Frank-Stoff bezogen, ein überdimensioniertes, massiges Ledersofa, dicke, einladende Teppiche
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