Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
Eriksplan eile, rufe ich Aina an, die aber nicht dran geht, nur ihr Anrufbeantworter schaltet sich ein und bittet mich höflich, doch Namen und Telefonnummer zu hinterlassen. Vermutlich ist sie jetzt in der Kneipe, das heißt, wenn sie nicht bereits auf dem Heimweg sind. Ich schüttle ungewollt den Kopf und versuche es auf Markus’ Handy. Auch hier keine Antwort, trotzdem hinterlasse ich eine Nachricht, wie verwirrt und unzusammenhängend sie auch klingen mag.
Mit dem bedrückenden Gefühl, dass heute Abend etwas Schreckliches passiert ist und dass ich auf irgendeine Art und Weise mit daran schuld bin, gehe ich hinunter zur Metro.
Am nächsten Morgen bin ich früher als üblich in der Praxis. Der Kloß im Magen ist von einer nervösen Energie abgelöst worden – ich muss herausfinden, wo Marianne ist.
Auf dem Flur begegnet Aina mir mit einem breiten Lächeln.
»Ich will es gar nicht wissen«, sage ich und schüttle den Kopf.
»Bist du sauer?«
Aina sieht mich verwundert und verletzt an.
»Ist Marianne schon da?«
»Nein, das ist tatsächlich merkwürdig, sie ist nicht aufgetaucht, und sie hat nicht angerufen. Es sieht ihr gar nicht ähnlich, einfach … einfach nicht zu kommen.«
Ich berichte vom gestrigen Abend, und Aina reißt die Augen auf, wie sie es immer tut, wenn sie sich Sorgen macht oder Angst hat. Ein Augenwinkel zuckt ein wenig, als sie langsam meinen Arm ergreift.
»Hast du die Polizei angerufen?«
»Nein, sie war ja erst eine halbe Stunde oder so weg.«
»Und warum hast du nicht Markus angerufen oder Christer?«
Es ist etwas Anklagendes in ihrer Stimme.
»Christers Nummer habe ich gar nicht, weiß nicht einmal, wie er mit Nachnamen heißt. Und Markus habe ich angerufen, habe ihn aber nicht erreicht, genauso wenig wie dich.«
»Oh«, Aina errötet und lässt meinen Arm los.
»Wie gesagt, ich will es gar nicht wissen. Ich mache mir viel
zu große Sorgen um Marianne, um mich um deine Bettgeschichten zu kümmern.«
Ich höre selbst, dass meine Stimme unnötig hart klingt. Ich weiß selbst, dass es kleinlich von mir ist, aber manchmal kann ich Aina diese schnellen Abenteuer einfach nicht gönnen. Es ist, als wollte ich ihr ein Gelübde abverlangen, dass sie meine Einsamkeit teilen will.
»Im Empfang«, unterbricht Aina meine Gedankenkette.
»Im Empfang?«
»Der Ordner mit den Nummern der Angehörigen. Erinnerst du dich nicht?«
Ich erinnere mich. Marianne war auf einem Kurs über die Rolle der Sekretärin bei einer Krisenbewältigung gewesen und hatte uns nach ihrer Rückkehr dazu veranlasst, die Telefonnummern unserer nächsten Angehörigen aufzuschreiben, »falls etwas passiert«.
Ich gehe um den Empfangstresen herum und suche in Mariannes ordentlich abgelegten Ordnern, die auch in der Farbe zusammenpassen. Ganz hinten in einem dünnen Ordner, auf dem »Wichtige Papiere« steht, finde ich die Angehörigenliste. Unter Mariannes Namen stehen sowohl Christer als auch die beiden Söhne als Angehörige aufgeführt. Ich nehme den Telefonhörer und wähle Christers Nummer. Er geht nach dem ersten Signal dran.
Wir sitzen in einer Cafeteria, die in der Verlängerung der großen Empfangshalle des Söderkrankenhauses liegt. Um uns herum kommt und geht ein unendlicher Strom an Menschen. Pflegepersonal in Weiß, das mit schnellen, selbstsicheren Schritten auf den Tresen zustrebt, sich selbst mit dem Tagesgericht bedient und dann weiter zur Kasse geht. Besorgte Angehörige, die schweigend bei einer Tasse Kaffee sitzen und vor
sich hin starren. Redselige Rentner, die ihren wöchentlichen Höhepunkt mit dem Krankenhausbesuch erlebt zu haben scheinen. Eine ältere Frau füttert vorsichtig einen Mann, der zitternd in einem Rollstuhl sitzt. Ich vermute, es ist ihr Ehemann, von Parkinson getroffen.
Vor mir sitzt Christer. Seine Augen sind rotgerändert, und es ist zu sehen, dass er zu wenig Schlaf bekommen hat. Er reibt sich ununterbrochen eine Hand an der anderen. Ich sehe, dass die Nagelhaut an Daumen und Zeigefinger tief eingerissen ist und dass sich eine hässliche rote Entzündung dort ausbreitet, wo die abgerissene Haut war.
»Ein Unfall mit Fahrerflucht?«
Ich höre selbst, wie zweifelnd ich klinge.
»Was ist passiert? Ich meine, ich habe mit Marianne gestern Abend noch telefoniert. Sie wollte, dass ich zu ihr komme, aber dann war sie nicht da.«
»Die gehen davon aus, dass sie hinuntergegangen ist, um bei Seven-Eleven einzukaufen. Kurz vor dem Unfall war sie jedenfalls
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