Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
kann er nichts über meine Gespräche mit Sara wissen. Es sei denn, er ist tatsächlich Saras geheimnisvoller Freund und sie hat ihm alles anvertraut, worüber wir gesprochen haben, aber das erscheint mir unwahrscheinlich – die Hinweise im Abschiedsbrief sind viel zu detailliert. Die Person, die das geschrieben hat, wusste haargenau, wann wir wovon gesprochen haben. Datum, Uhrzeiten, alles ist vorhanden.
Außerdem, und das frage ich mich mehr als alles andere: Welches Motiv sollte Peter Carlsson haben, welches Sven? Wie hatte Vijay doch gesagt – ein empfundenes Unrecht . Soweit ich mich erinnern kann, bin ich Peter nie zuvor im Leben begegnet.
Und Sven? Hasst er mich, weil ich erfolgreich und eine Frau bin? Verkörpere ich für ihn das, was seine Karriere gestoppt hat und ihn in einer kleinen Praxis in Söder auf der Stelle treten lässt? Ein Frauenhasser, verheiratet mit einer der hervorragendsten Forscherinnen unserer Zeit in der Genderwissenschaft? Das kann ich nicht glauben.
Ich denke an die Stimme am Telefon, an diesem Abend, als die Polizei mich geschnappt hat, versuche mich daran zu erinnern, wie sie geklungen hat. Aber sie kommt mir nicht bekannt vor. Und sie klang nicht wie Sven. Oder Peter.
Bleiben Aina und Marianne. Nicht einmal in meinen paranoidesten Minuten kann ich mir vorstellen, dass Aina oder
Marianne darin verwickelt sein könnten. Aber wer sonst hätte das Wissen? Das Wissen über die Gespräche zwischen Sara und mir, die Information, wo ich wohne, Charlottes Adresse? Wer weiß von meinen Schwimmrunden hin zu dem alten, wackligen Anleger?
Ich komme nicht weiter, und das macht mich wahnsinnig frustriert. Es muss doch etwas geben, etwas, das ich vergessen habe. Ein Detail.
Ich versuche das Problem aus einem anderen Blickwinkel heraus zu analysieren. Das Motiv, denn das muss es doch wohl geben? Das empfundene Unrecht. Gibt es irgendeinen verschmähten Liebhaber, den ich verdrängt habe, einen übergangenen Kollegen oder einen beleidigten Patienten? Wie sehr ich mich auch anstrenge, es fällt mir niemand ein. Und dann gibt es ja noch ein anderes Problem: Selbst wenn es eine Person gibt, die sich aus irgendeinem Grund wegen eines Unrechts an mir rächen will, wie ist sie dann an all die Informationen gekommen, die nötig waren, um dieses Verbrechen zu begehen? Die Akten, Adressen… wieder eine Sackgasse.
Vielleicht gibt es noch jemand anderes, der Zugang zur Praxis und unseren Akten und Aufzeichnungen hat? Ich mache eine Liste mit allen Außenstehenden, die in den letzten sechs Monaten in unseren Räumen waren, und gebe sie Markus. Sie wird beängstigend kurz, nur der Name der Reinigungsfirma und des Computerbetreuers befinden sich darauf.
Eine griechische Familie hat das Putzen übernommen. Ich kenne alle persönlich, und außerdem putzen sie während der Arbeitszeit, weshalb es nicht realistisch ist, dass sie Aktenteile aus der Praxis mit nach Hause schmuggeln. Der Netzwerktechniker heißt Ronny und ist aus Örkelljunga. Mit ihm habe ich bisher nur am Telefon gesprochen, und ich kann nur sehr, sehr schwer glauben, dass er damit etwas zu tun haben könnte.
Ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir unsere Akten in den Räumen hatten, als er das letzte Mal da war.
Die Ungewissheit wird zu einem Vakuum. Einem Warten.
Einer Ruhe vor dem Sturm.
Plötzlich stand er einfach da, mit diesem albernen kleinen Hund an der Leine. Er war so um die fünfunddreißig. Ordentlich gekleidet, alles von der richtigen Marke, diskret und mit Stil. Obwohl die Dunkelheit sich bereits über die Bucht senkte, konnte ich sehen, wie frisch gewaschen und gepflegt er aussah, wie ein Weihnachtsferkel mit prallen, rosigen Wangen und einem Kugelbauch, der sich über die schwarze Jeans wölbte. Er hatte wahrscheinlich eine Frau, die ihn mästete, und zwei verrotzte Kinder in einem der großen, vulgären Protzhäuser ein Stück weiter östlich in der Bucht.
»Ja, also, ich will ja nicht stören«, begann der Mann mit gequält nasaler Stimme, »aber …« Er hielt den kleinen, gefleckten Hund zurück, der mich anknurrte, mit nach hinten angelegten Ohren, und seine Zähne zeigte. »Ich frage mich nur… Also, ich habe Sie jetzt schon einige Male bei den Klippen gesehen, wenn ich mit dem Hund hier entlang gehe. Wohnen Sie hier?«
Der Mann ließ die Frage wie eine Anklage klingen. Ich gab ihm keine Antwort, setzte mich nur in meinem Schlafsack auf, den ich für die Nacht unter einer Kiefer am Rande der Klippen hingelegt
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