Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
dem es schließlich gelungen ist, mich von hier zu vertreiben.
Wir kichern, essen Popcorn und Mezes, die ich in den Söderhallen gekauft habe, trinken dazu Rotwein. Für meine Gäste habe ich ein paar Flaschen richtig guten Chianti gekauft. Alles wird auf dem Teppich serviert. Aber unter dem fröhlichen Äußeren gibt es einen ernsten Unterton. Wir sind zusammengekommen, um über das Geschehene zu sprechen, und natürlich weil wir hoffen, dass Vijay uns vielleicht helfen könnte.
Aina zündet sich eine Zigarette an. Ich sehe, dass sie beschwipst
ist, erkenne es an der Art ihrer Bewegungen und allein wegen der Tatsache, dass sie raucht.
»Also, Vijay, was wissen wir über diesen Typen?«, beginnt Aina und nimmt einen tiefen Zug.
»Was wir wissen – wir müssen unterscheiden zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir glauben … Was wir wissen: dass der Mörder detaillierte Kenntnisse von eurer Praxis und euren Patienten hat und dass er weiß, wo du wohnst, Siri. Und wo Charlotte Mimer wohnt. Was wir glauben: dass er ein Mann mittleren Alters ist, dass er mit Saras Freund identisch ist, dass er psychisch gestört ist und dir aus irgendeinem Grund schaden will, Siri. Weiter wissen wir, dass er eine Art Vater-Tochter-Beziehung zu Sara hatte oder haben wollte, dass er eine Tochter hat, die Sara vielleicht in irgendeiner Art und Weise ähnlich ist… Marianne war ihm höchstwahrscheinlich auf der Spur, und vielleicht war er derjenige, der sie daran gehindert hat, das zu erzählen, was sie wusste.«
»Ein eiskalter Teufel, wie du gesagt hast, Vijay. Erinnerst du dich?«
»Mhm, er sieht uns als Spielsteine in seinem Spiel. Er hat Sara geopfert, um an dich ranzukommen, Siri.«
Vijay verstummt, und wir sitzen schweigend auf dem Teppich im Wohnzimmer. Ich höre, wie die Wellen sich draußen an den Klippen brechen und der Wind über die Schären fegt. Der Sturm ist da, denke ich. Ich schließe für eine Weile die Augen und stelle dann die Frage, die mich schon so lange beschäftigt:
»Ein böser Mensch? Ist er das?«
Ich sehe Vijay fragend an.
»Ich glaube nicht, dass es so etwas gibt. Böse Menschen, meine ich. Ich glaube, es gibt böse Handlungen, ausgeführt von kaputten Menschen. Und ich glaube, dass er kaputt ist, dass er leidet.«
»Dann findest du es entschuldbar, dass er einen unschuldigen Menschen wie Sara getötet hat?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass ich nicht glaube, dass jemand böse geboren wird.«
»Kann man nicht trotzdem böse werden?«
»Man kann zu jemandem werden, der böse Handlungen begeht.«
»Und ist man dann nicht böse?«
»Nicht unbedingt. Aber weißt du, diese Frage solltest du lieber mit einem Pfarrer diskutieren oder vielleicht mit einem Philosophen. Ich bin Wissenschaftler.«
Vijay holt seinen Tabak heraus, dreht sich eine Zigarette und fährt fort:
»Ich will versuchen, zu erklären, was ich meine. Gehen wir einmal davon aus, dass wir eine Person haben mit richtig schlimmen Voraussetzungen. Ihr kennt die Theorien, was Schäden am Stirnlappen des Gehirns mit sich bringen können?«
Aina und ich nicken. Der Stirnlappen ist ein empfindlicher Teil, er wird von vielen Forschern als Zentrum dessen angesehen, was wir üblicherweise mit Ethik und Moral bezeichnen.
»Angenommen, so ein Individuum ist einer unvorteilhaften Erziehung ausgesetzt gewesen, ohne Möglichkeit, feste und dauerhafte Bande zu seinen Eltern zu knüpfen, vielleicht im Zusammenhang mit Übergriffen, sexueller oder anderer Art. Das Risiko ist da, dass die Person das, was wir eine antisoziale Persönlichkeitsstörung nennen, entwickelt. Oft ist das bereits in der Kindheit zu erkennen. Bettnässen, Tierquälerei und Pyromanie sind oft deutliche, frühzeitige Anzeichen. Womit nicht gesagt werden soll, dass alle Bettnässer oder Tierquäler Psychopathen sind, absolut nicht. Aber einige sind es oder werden es. Ich will nicht behaupten, dass diese Individuen
böse Menschen sind. Ich meine, böse, das impliziert doch in gewisser Weise, dass sie eine aktive Wahl getroffen haben, oder? Sich in gewisser Weise für das Böse entschieden haben.«
»Aber du glaubst also, dass es sich hier um so ein … beschädigtes Individuum handelt?«
»Ja, auf jeden Fall.«
»Da ist noch etwas, was ich mich frage. Könnte es auch eine Frau sein?«
Vijay dreht das Weinglas zwischen den Fingern und schnuppert daran.
»Theoretisch – ja. Aber in der Praxis ist das nicht sehr wahrscheinlich. Fast alle
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