Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
die falsche Antwort, wenn man bedachte, dass das kleine Mädchen mindestens einmal am Tag einen Kreislaufzusammenbruch bekam, selbst wenn sie nicht in den Händen von Gewaltverbrechern war.
»Okay, Doktor«, fuhr der Privatdetektiv fort. »Krankes Mädchen reißt von zu Hause aus. In Berlin. Bis dahin stimmen die Fakten meinetwegen noch überein. Aber dann? Was soll das Gerede von einer Königstochter, die in einem Schloss auf einer Insel lebt?«
»Du übersiehst, dass Schwanenwerder tatsächlich eine Insel ist, die nur durch eine Brücke mit Berlin-Zehlendorf verbunden wird. Unsere Schinkel-Villa am Großen Wannsee hast du selbst einmal scherzhaft als ›Schloss‹ bezeichnet. Und was die Königstochter angeht, Isabell nannte … also sie nennt Josy häufig ›Prinzessin‹, auch hier hätten wir eine Parallele.«
»Nimm es mir nicht übel, Viktor. Ich arbeite jetzt seit vier Jahren für dich, und wir sind darüber Freunde geworden. Und als Freund sage ich dir: Das, was die Dame da erzählt hat, erinnert mich an mein Horoskop im Kurier. Es ist so allgemein gehalten, dass sich jeder das Passende herauspicken kann.«
»Trotzdem. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich nicht alles Menschenmögliche für Josy getan hätte.«
»Okay. Du bist der Boss. Aber eins will ich dann doch noch mal klarstellen: Die letzte glaubwürdige Zeugenaussage stammt von einem älteren Ehepaar. Sie haben ein kleines Mädchen mit einem Mann aus der Praxis gehen sehen. Sie vermuteten nichts Schlimmes, weil sie annahmen, das Kind würde von seinem Vater begleitet werden. Diese Aussage wurde von dem Kiosk-Besitzer an der Ecke bestätigt. Ein Mann im mittleren Alter hat deine Tochter entführt. Keine Frau. Außerdem war Josy zwölf Jahre alt und nicht neun.«
»Und was ist mit der blauen Katze? Du kennst Josys Lieblingskuscheltier. Die blaue Katze Nepomuk.«
»Schön. Trotzdem macht das alles keinen Sinn. Gesetzt den Fall, da gibt es einen Zusammenhang, was will diese Frau denn von dir? Was steckt dahinter? Wenn sie Josy entführt hat, warum versteckt sie sich dann nicht weiter, sondern läuft dir sogar bis nach Parkum hinterher?«
»Ich sage ja nicht, dass meine Patientin da mit drinhängt. Ich sage nur, dass sie etwas weiß. Etwas, das ich in den kommenden Therapiesitzungen versuche, aus ihr herauszubekommen.«
»Du triffst dich also noch mal mit ihr?«
»Ja, ich hab sie für morgen Früh wieder eingeladen. Ich hoffe, sie kommt, nachdem ich bis heute nicht sehr freundlich zu ihr war.«
»Und wieso fragst du sie morgen nicht einfach direkt?«
»Wie stellst du dir das vor?«
»Zeig ihr ein Foto von Josy. Frage nach, ob sie das Mädchen wiedererkennt. Und wenn ja, dann ruf besser gleich die Polizei.«
»Ich habe hier kein gutes Foto von ihr. Nur eine Zeitungskopie.«
»Das kann ich dir faxen.«
»Meinetwegen. Aber ich kann es trotzdem nicht benutzen. Noch nicht.«
»Wieso?«
»Weil die Frau in einem Punkt die Wahrheit sagt: Sie ist krank. Und wenn sie tatsächlich an Schizophrenie leidet, brauche ich ihr Vertrauen als Arzt. Sie will eigentlich nicht mehr über das Thema reden, das signalisiert sie mir jetzt schon. Wenn ich ihr morgen indirekt zu verstehen gebe, dass ich sie für die Komplizin bei einem Verbrechen halte, macht sie endgültig dicht. Dann bekomme ich gar keine weiteren Informationen aus ihr heraus. Und dieses Risiko will ich nicht eingehen, solange ich noch ein Fünkchen Hoffnung habe, dass Josy lebt.«
Hoffnung.
»Weißt du was, Viktor? Hoffnung ist wie eine Glasscherbe im Fuß. Solange sie im Fleisch steckt, tut es weh bei jedem Schritt, den man geht. Doch wenn sie herausgezogen wird, blutet es zwar für eine kurze Zeit, und es dauert eine Weile, bis alles verheilt ist, aber schließlich kann man weiterlaufen. Diesen Prozess nennt man auch Trauer. Und ich finde, du solltest endlich mal damit anfangen. Himmel! Fast vier Jahre sind vergangen, und wir hatten schon bessere Hinweise als die von einer Frau, die sich selbst in ein Irrenhaus einweisen ließ.«
Ohne es zu wissen, hatte Kai Strathmann Viktor soeben die Antwort für die zweite Frage im Interview gegeben.
»Gut, Kai. Ich verspreche dir, endgültig mit der Suche nach meiner Tochter aufzuhören, wenn du mir jetzt einen letzten Gefallen erweist.«
»Welchen?«
»Überprüfe bitte, ob es am 26. November in der Nähe von Grohlkes Praxis einen Auffahrunfall gab. Zwischen 15.30 und 16.15 Uhr. Schaffst du das?«
»Ja. Aber du wirst bis dahin die Füße
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