Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
aus zurief.«
Böses?
»Zum Beispiel?«
»Das war alles sehr merkwürdig. Sie sprach in Rätseln. So etwas wie: ›Such nicht nach dem, was es gibt. Halte Ausschau nach dem, was fehlt!‹«
»Haben Sie verstanden, was sie damit sagen wollte?«
»Nein. Aber ich hatte damals leider keine Gelegenheit mehr nachzufragen.«
»Warum?«
»Weil plötzlich etwas passierte, woran ich mich nicht gerne zurückerinnere, Dr. Larenz.«
»Was?«
Viktor erkannte in Annas Augen denselben unwilligen Ausdruck, den er bereits am Vortag an ihr festgestellt hatte, als sie das Gespräch abbrechen wollte.
»Können wir nicht morgen darüber reden? Ich fühle mich nicht mehr so gut.«
»Nein. Es ist besser, dass wir es jetzt hinter uns bringen«, insistierte Viktor. Er war erschrocken, wie problemlos ihm diese Lüge über die Lippen ging. Das, was er hier praktizierte, hatte nichts mit einem regulären Therapiegespräch gemein. Es war ein Verhör.
Anna schaute ihn mehrere Sekunden lang unschlüssig an. Erst dachte Viktor, er habe sie wieder verloren und sie würde aufstehen, um sein Haus zu verlassen. Doch dann faltete sie die Hände in ihrem Schoß, seufzte leise und fuhr mit ihrer Geschichte fort.
13. Kapitel
I m Bungalow war es auf einmal schlagartig dunkel geworden. Es muss also gegen 16:30 Uhr gewesen sein. So um den Dreh ging damals, Ende November, die Sonne unter. Ich ging daher zurück ins Kaminzimmer und griff mir ein Feuerzeug, mit dem ich den Flur etwas ausleuchten wollte. Da sah ich in dem schwachen Schein der Flamme, dass ich am hinteren Ende des Gangs noch einen Raum übersehen hatte. Ich glaube, es war eine Abstellkammer.«
Oder Josys Zimmer.
»Ich wollte das noch überprüfen, als ich plötzlich Stimmen hörte.«
»Was für Stimmen?«
»Eigentlich war es nur eine. Und sie sagte auch nichts. Ich hörte, wie ein Mann weinte. Leise. Kein Schluchzen. Mehr ein Wimmern. Und es kam aus dem Zimmer am Ende des Gangs.«
»Woher wussten Sie das?«
»Weil es lauter wurde, je näher ich kam.«
»Hatten Sie gar keine Angst?«
»Doch. Aber richtige Panik bekam ich erst, als Charlotte auf einmal draußen anfing zu schreien.«
»Warum schrie sie?«
Viktor griff sich an den Hals, der mittlerweile beim Sprechen unerträglich schmerzte.
»Sie wollte mich warnen. ›Er kommt‹, brüllte sie. ›Er kommt.‹«
»Wer?«
»Ich weiß es nicht. Aber dann bemerkte ich, dass das Wimmern aufgehört hatte. Stattdessen bewegte sich die Türklinke vor meinen Augen langsam nach unten. Und als die Feuerzeug-Flamme durch den Luftzug der sich öffnenden Tür erlosch, lähmte mich die Erkenntnis.«
»Welche Erkenntnis?«
»Das, wovor mich Charlotte draußen warnen wollte, war bereits bei mir.«
Das Telefon klingelte und machte Viktors Versuch zunichte, eine weitere Frage zu stellen. Er entschied sich, den Anruf am Zweitapparat in der Küche anzunehmen. Isabell hatte darauf bestanden, dass wenigstens ein modernes Tastentelefon im Ferienhaus auf Parkum installiert wurde.
»Larenz.«
»Ich weiß nicht, ob ich eine gute oder eine schlechte Nachricht für dich habe.« Kai meldete sich ohne förmliche Begrüßung und kam gleich zur Sache.
»Sag es mir einfach ohne große Umschweife«, flüsterte Viktor, der nicht wollte, dass Anna etwas von der Unterhaltung mitbekam.
»Ich habe einen meiner besten Mitarbeiter in der Detektei drangesetzt und natürlich auch selbst recherchiert. Und zwei Dinge stehen definitiv fest: Punkt eins: Es gab an diesem Tag einen Auffahrunfall in der Uhlandstraße.«
Viktors Herz setzte für eine Sekunde aus, um dann in eine schnellere Frequenz zu wechseln.
»Punkt zwei: Es ist ausgeschlossen, dass dieser Unfall etwas mit der Entführung zu tun hat.«
»Ich verstehe nicht, wie könnt ihr da so sicher sein?«
»Weil damals ein Besoffener auf die Fahrbahn stolperte und beinahe überfahren wurde. Mehrere Zeugenaussagen bestätigten das. Und ein Kind war definitiv nicht im Spiel.«
»Das heißt, dass …«
»… dass deine Patientin vielleicht krank ist, aber garantiert nichts mit unserem Fall zu tun hat.«
»Josy ist kein Fall!«
»Entschuldige bitte. Selbstverständlich. Das war dumm von mir.«
»Schon gut, okay. Tut mir auch Leid. Ich wollte dich nicht anschnauzen. Es ist nur so, dass ich dachte, endlich einen Anhaltspunkt gefunden zu haben.«
»Verstehe.«
Nein. Verstehst du nicht, dachte Viktor. Und das nehme ich dir auch nicht einmal übel. Denn du hast nicht das erlebt, was ich erleben musste.
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