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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Umständen gerade so viel, als nötig war, mit der widerstrebenden Biegsamkeit einer stählernen Säbelklinge, paßte sie kühl seinen eigenen Maßstäben an.
    Dazu kam der hochmütige Individualismus der Nomaden. Ich erfuhr, daß er als einzigen Ausweis einen gefälschten Pilgerpaß besaß, den ein Freund ihm besorgt hatte. Geriet er durch Zufall in eine Kontrolle, spielte er perfekt den bornierten Eingeborenen. Er machte es mir vor, verzog einen Mundwinkel und schielte; in Sekundenschnelle verwandelte sich ein Gesicht, zeigte eine Mischung aus bäurischer Verschlagenheit und stumpfsinniger Unterwürfigkeit. Ich lachte Tränen. »Ach, Atan! Du bist ja der 213
    geborene Schauspieler!«
    Er grinste. »Eine Begabung, die genutzt werden sollte.«
    Die Steinblöcke waren noch warm von der Sonne; die Kiefern warfen lange Schatten. Wie große weiße Segel lagen Wolken um die Bergkette, bis sie der heiße Südwind ins Schweben brachte und weitertrieb. Ich zog meinen Pullover über den Kopf. Atan breitete sein Wolfsfell auf dem Boden aus. Er knotete seine Tschuba um die Taille, so daß sein Oberkörper nackt war. Ich legte mich in die Beuge seines Armes. Mein Körper schmerzte, als sei er geprügelt worden. Ich glaubte, einschlafen zu müssen, und schloß die Augen.
    Er zog mich enger an sich, sein Atem streifte mein Gesicht. Ich blinzelte, legte die Hand auf seinen Hals, dann den Mund auf seinen Mund. Seine Lippen öffneten sich, bevor er mich mit lähmender Kraft in seine Arme schloß. Er lag auf mir mit seinem ganzen Gewicht, ohne mir im geringsten weh zu tun. Ich umfaßte seinen Hals unter den starken Flechten, hingegeben an das lustvolle Erleben dieses Augenblickes; die rötlich verfärbte Sonne, die blauen Schatten, die Pferde, die am Bach friedlich grasten. Wir küßten uns lange und heftig, bis unsere Lippen taub wurden und pochten. Ich trank den Salzgeschmack aus seinem Mund. Mit wenigen Griffen streiften wir die Kleider von uns. Wir liebten uns in einer Art stummer Trägheit, in der Unschuld und Lust des Körpers unter dem Sprühfeuer der sinkenden Sonne, wurden eins mit dem lebenden Berg, dem Wasser, den Vögeln, den duftenden Gräsern. Atan kannte meinen Körper besser als ich selbst. Er wußte, daß ich müde war und Schmerzen hatte, aber auch, daß ich ihn heftig begehrte. Als er in mich eindrang, tat er es langsam, nahm sich Zeit. Wir lagen, Mund gegen Mund, streichelten uns mit den Zungenspitzen, so eng vereint, wie zwei Menschen es nur sein konnten. Ich legte beide Hände auf seine Lenden, während ich ihn tiefer und tiefer in mich einzog. Ich erinnerte mich kaum, daß andere Männer solche Empfindungen in mir ausgelöst hatten; es lag an ihm selbst, an seinen geschmeidigen Bewegungen, an diesem sanften und pochenden Gleiten in mir. Ich zog mich zusammen, ganz eng, schmerzlich verzaubert. Der Genuß kam und ging, in mir kreisten samtige Schauer vom Schoß bis zum Spann, kehrten um, brachen aus allen Poren heraus, ein seliges, süßes Brennen, mit einem letzten Stoß sich erfüllend. Er stöhnte leise, seine Muskeln versteiften sich, während sich das Erschauern noch weiter durch meinen Leib zog und sein Herz an meinem Brustkorb schlug. Nachher lagen wir da, die Augen geschlossen, 214
    noch immer miteinander verbunden. Träge hob ich die Hand, ließ sie über seinen schweißnaßen Rücken gleiten. Die Berührung mit der lebendigen Wärme seiner Haut erfüllte mich mit schmerzlichen Entzücken.
    Leise sagte ich:
    »Man glaubt, man könnte alles verstehen. Und dann doch nicht, niemals.«
    »Das kam unerwartet«, sagte er.
    »Für dich auch?«
    »Für mich ganz besonders.«
    Er richtete sich auf, um mich anzusehen. Seine Augen glänzten in dem braunen Antlitz. In der Sonne leuchteten sie klar wie die eines Kindes. Ich legte meine Hände an sein Gesicht, streichelte es voller Zärtlichkeit.
    »Mach dir keine Gedanken, Atan. Wir werden schon damit klar kommen.«
    Der Wind wurde plötzlich kühl. Wir wuschen uns in dem Bach, zogen uns an. Dann setzten wir uns dicht nebeneinander auf das Wolfsfell und sahen zu, wie die Sonne unterging. Der Himmel leuchtete wie Bernstein, das Wasser gluckste leise. Mein Blick fiel auf das Amulett, das im Ausschnitt der Tschuba in der Abendsonne glänzte. Ich berührte das Silber mit den Fingern und strich über das eingelegte Muster, um die Feinheit der Arbeit zu fühlen. Das Amulett mußte schon sehr alt sein.
    »Shelo gab es mir, als ich zehn wurde«, sagte Atan, als Antwort auf

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