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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Und wenn keine Aussicht besteht… «
    Ich biß mir auf die Lippen. Er nickte langsam.
    »Es könnte immerhin sein.«
    Mir war, als hätte ich ein Paradies wiedergefunden, von dem ich oft geträumt und das ich in früheren Zeiten, an die mir jede Erinnerung längst verlorengegangen war, gut gekannt hatte. Aber dieses Paradies war für mich verboten und unerreichbar. Ich berührte eine Schwelle, die ich nie überschreiten würde, und diese Erkenntnis löste Schmerz in mir aus. Ich sagte leise:
    »Wenigstens Lhasa wiedersehen… «
    Eine letzte Sonnenbahn ließ den Gipfel aufleuchten. Die Schneefelder schwangen ihre glitzernden Kurven in das Abendgold, Wolken krochen die Schluchten herauf. Ich fror ein wenig, neigte die Stirn und lehnte sie an Atans Brust. Er zog mich an sich, hielt mich eng umschlungen. Mein Kopf ruhte an seiner Schulter. Ich lauschte seinen gepreßten Atemzügen, hörte das Schlagen seines Herzens. Es klang, als wäre es mein eigenes.
    219

25. Kapitel

    A ls ich erwachte, leuchtete der Himmel aprikosenfarben. Vögel sangen in den Büschen, die Zweige knisterten im Wind. Mein Gesicht fühlte sich feucht und kalt an. Schlaftrunken kuschelte ich mich in die Wärme des Wolfspelzes und merkte, daß Atan nicht mehr bei mir lag. Nach einer Weile sah ich ihn kommen. Er trug trotz der Kälte nur die locker geknotete Tschuba über der Jeans.
    Lautlos bewegte er sich in seinen Stiefeln mit den Yakledersohlen.
    Er hielt eine Blechschüssel in der Hand, die er behutsam neben mich stellte.
    »Ich habe dir Wasser geholt.«
    »Du denkst an alles.«
    »Immer«, erwiderte er und wandte sich ab, um die Glut zu entfachen. Ich wusch mir das Gesicht und putzte mir die Zähne, kämmte und flocht mein Haar. Der junge Bergmorgen erfüllte mich ganz. Ich atmete in vollen Zügen, spürte das Blut erwachen und in meinen Fingerspitzen prickeln. Die Pferde schnaubten, warfen den Kopf in den Nacken. Die Helligkeit nahm langsam und stetig zu.
    Zuerst färbte sich ein Eiskegel rosa, während alle Hänge im Schatten blieben. Dann glitt das Licht von Berg zu Berg. Der Himmel erglühte wie ein Schild aus Messing, und die Sonne zog hinter den Gipfeln hervor. Nachdem ich mit einigen Bewegungen meine schmerzenden Muskeln gelockert hatte, setzte ich mich neben Atan, hielt meine erstarrten Hände in die Wärme. Er füllte eine Feldflasche mit Tee und blinzelte mir zu.
    »Nun, wie fühlst du dich? Kannst du reiten?«
    Ich verzog das Gesicht.
    »Bäume kann ich nicht ausreißen. Aber im Sattel sitzen, schon.«
    Während ich das Gepäck einrollte und festschnürte und das Kochgeschirr in die Taschen stopfte, löschte Atan das Feuer, zerstreute die Glut und sattelte die Pferde. Die Tiere hatten die ganze Nacht geweidet und waren gut ausgeruht. Atan half mir in den Sattel.
    Als wir losritten, war es noch kalt, aber sobald die Sonne stieg, nahm die Hitze zu. Es dauerte nicht lange, und ich konnte meine Daunenjacke zusammenrollen und hinten am Sattel festschnallen.
    Die Pferde gingen vorsichtig den bald ansteigenden, bald abschüssigen Pfad entlang. Atan ritt als erster; er schien den unsicheren, gefährlichen Weg genau zu kennen. Ilhas schöne, gerade 220
    Fesseln schenkten dem Tier eine ausgreifende Gangart, und seine Hufe schienen so sicher wie die einer Bergziege. Der Pfad verlief fast immer am Rand einer Schlucht entlang; zum Glück war ich schwindelfrei. Ich nahm an, daß ich es meinen Ahnen verdankte.
    Schwärme von kleinen Rotschwänzchen tanzten in den Gräsern, die sich unter dem Atem des Windes kräuselten. An den Hängen blühte purpurnes Heidekraut. Hier und da stiegen Rauchstreifen am Fuß der Bergkette oder auf halber Höhe auf. Winzige Dörfer verbargen sich in den Kiefernwäldern. Stunde um Stunde verging. Ein harter Tag!
    Atan hatte mich gewarnt. Bald schwappte die Müdigkeit bleiern in mir, meine Beine hingen wie abgestorben in den Steigbügeln. Endlos und unerbittlich zog die Zeit vorüber. Ich dachte, nun verfaulen meine Beine, nun sterben sie unter mir ab; ich werde als Krüppel weiterleben, in einem Rollstuhl. Wenn dieser Mensch doch endlich anhalten würde! Aber nein. Er reitet und reitet, er dreht sich nicht einmal um und fragt, wie es mir geht. Ich könnte aus dem Sattel kippen, es würde ihm gleich sein.
    Ich flüsterte zwischen den Zähnen:
    »Er muß ja einmal stehenbleiben, der verdammte Kerl!«
    Wieder verging eine Stunde oder mehr. Der Ritt würde kein Ende nehmen. Schon fielen die Sonnenstrahlen schräg; die

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