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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Atan plötzlich anhielt.
    »Hier«, sagte er.
    Durch kleines Buschwerk sahen wir den Fluß in seiner vollen Breite. Das Wasser schien sehr tief. Ich fragte, ob es keine flachere Stelle gab. Er schüttelte den Kopf.
    »Flußabwärts sind Stromschnellen.«
    »Und das Gepäck?«
    »Wird naßwerden, natürlich. Aber wir haben keine andere Wahl.«
    Er empfahl mir, die Sattelgurte zu lockern für den Fall, daß die Pferde eine kurze Strecke schwimmen mußten. Mit steifen Fingern tat ich, was er sagte. Das eiskalte schwarze Wasser kam mir unheimlich vor.
    »Bleib immer hinter mir«, sagte Atan.
    Schritt für Schritt trieben wir unsere Reittiere in den Fluß. Atan ritt schräg gegen die Strömung hinein. Hier und da trieben Bruchholz und Wurzeln auf der Oberfläche. Der Wind wehte in Wirbeln, warf kleine, harte Wellen auf. Der Wasserarm brauste zwischen Schlammbänken, Büschen und abgestorbenen Bäumen dahin, die von der Strömung seitlich ans Ufer getragen worden waren. Atan lenkte sein Pferd mit größter Vorsicht, wobei er mir von Zeit zu Zeit einen flüchtigen Seitenblick zuwarf. Bald erreichte das Wasser die Knie der Pferde, stieg höher, erfaßte meine Bergschuhe, die sich gluckernd mit eiskaltem Wasser füllten. Mir war, als ob sich tausend Nadeln in meine Füße bohrten. Allmählich wurde mir klar, warum Atan diese Stelle gewählt hatte: In der Flußmitte befanden sich 225
    kleine Erhöhungen, Stücke fester Erde, mit Gräsern bewachsen.
    Gletscherflüsse warfen ab und zu solche Hügel auf und trugen sie nach ein paar Monaten wieder ab. Atan ritt zielsicher vorwärts; ich vergewisserte mich immer wieder, daß ich genau hinter ihm blieb.
    Plötzlich schnellte ein schwerer Ast dicht vor Bemba empor. Der Wallach machte einen Schritt zur Seite. Sein Fuß sackte ab; ich verlor fast das Gleichgewicht, während Bemba mit krampfhaften Bewegungen festen Grund suchte und auch fand. Ich zitterte am ganzen Körper, jeder Herzschlag dröhnte bis in den Hals hinauf. Ich sagte mir, das ist nur die Kälte, Tara, das eisige Wasser. Das geht vorbei, wenn du erst warme Socken zum Anziehen hast! Der Boden hier war sumpfig. Bemba rutschte ein zweites Mal aus, das Wasser spritzte bis zu meinen Schultern hoch. Eine Weile ritten wir stromabwärts, dann führte Atan sein Pferd dem Ufer entgegen. Ilha schnaubte, schüttelte den Hals, arbeitete sich durch das dichte Gebüsch empor, bis er mit ein paar kräftigen Sprüngen die Böschung erklomm. Einen Augenblick später stand Bemba mit bebenden Flanken neben ihm. Ich strich atemlos mein nasses Haar aus der Stirn. Atan wandte mir das Gesicht zu. Seine Augen leuchteten im tiefen Schatten der Bäume.
    »Willkommen in Tibet!«
    Ich lachte mit klappernden Zähnen.
    »Es war nicht allzu schwer.«
    Er zwinkerte mir zu.
    »Das freut mich aber.«
    Er stieg aus dem Sattel, ich tat es ihm mit steifen Knochen nach.
    Atan sagte, daß wir hier Feuer machen konnten.
    »Der Fluß macht einen großen Bogen. Von der anderen Seite sehen sie uns nicht.«
    Wie immer galt seine erste Sorge den Pferden. Er nahm ihnen Sattel und Zaumzeug ab, rieb sie mit einer Decke trocken und gab sich erst zufrieden, als sie getrunken hatten und friedlich grasten.
    Das kleine Feuer entfachte er unter einem Baum, so daß selbst die geringe Rauchbildung beim Aufsteigen durch die Äste verteilt wurde. Inzwischen zog ich meine nassen Schuhe und Strümpfe aus, legte sie nahe an die Glut, um sie zu trocknen. Ich zog dicke Wollsocken an, die zum Glück nur feucht waren, und wickelte mich eng in meine Daunenjacke. Atan schöpfte Wasser aus dem Fluß und brachte es zum Kochen. Bald sang der kleine Kessel über den Flammen. Wir schlürften den herben, kräftig schmeckenden Tee. Ich 226
    trank so hastig, daß ich mir fast den Mund verbrannte. Doch nach einigen Schlucken trat die ersehnte Entspannung ein. Ich fühlte in mir die Glut des Tees, an meinen klammen Händen die Wärme des Feuers. Ringsum war nichts zu hören als das schwere Geräusch des strömenden Wassers. Atan saß neben mir, den Rücken an den Sattel gelehnt.
    »Wir schlafen jetzt ein paar Stunden«, sagte er. »Sobald es Tag wird, reiten wir.«
    »Gibt es hier einen Weg?«
    »Ich reite stets abseits der Wege.«
    Ich drückte die heiße Schale an meine Wange.
    »Was machst du, Atan, wenn dich ein chinesisches Flugzeug sichtet, und du nicht in Deckung gehen kannst?«
    »Dann winke ich zum Gruß oder schwenke meinen Hut. Für gewöhnlich grüßt der Pilot zurück.«
    Ich

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