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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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kupferfarben der nackte Fels. Die Riesengipfel des Himalaya säumten in weitem Kreis den Horizont; und doch waren sie irgendwie nahe, weil das Tal selbst, in zweitausend Meter Höhe, bereits zu ihnen gehörte. Das Azurblau des Himmels war hart und gespannt, der Wind eiskalt. An den fernen Gipfeln klebten flache Wolken. Atan ritt oder ging voraus, sprach nur das Nötigste. Ich tat es ihm nach, schonte meine Kräfte. Lange Zeit war nur das Schleifen der Hufe, das schwache Quietschen von Sattelleder zu hören. Plötzlich zügelte Atan sein Pferd; er hielt seinen Kopf in den Wind und drehte ihn leicht hin und her. Ich hörte, wie er leise zu dem Pferd sprach.
    »Ilha, alter Freund, witterst du, was ich rieche?«
    Der kleine Hengst reckte die samtene Nase in den Wind, schnupperte leise und legte dann die Ohren flach an den Kopf; er drehte den Rumpf gegen den Wind und krümmte den Rücken wie ein Yak im Schneesturm.
    Atan nickte finster.
    »Ja, du witterst es auch. Unser Pech, Ilha!«
    Er wandte mir das Gesicht zu.
    »Der Schnee kommt. In einer Stunde ist hier die Hölle los.«
    Atans unheimliche Naturkenntnisse flößte mir Achtung ein. Ich bewunderte seine Fähigkeit, immer, zu jeder Zeit, genau das Richtige zu tun. Vielleicht war ich mit ähnlichen Fähigkeiten geboren worden, hatte sie jedoch nie entwickelt. Sie waren irgendwo in mir verschüttet, unauffindbar. In meiner Welt hatte ich sie nie gebraucht.
    »So schnell?« fragte ich.
    »Es wird ziemlich arg werden. Reiten wir los!«
    Wir ließen die Tiere ausgreifen. Noch schien die Sonne, aber im Norden hing eine große, dunkle Wolke über den Gipfeln: ein 229
    lauerndes, blauschwarzes Ungeheuer. Schleierarme erfaßten die tiefer stehende Sonne, löschten sie aus. Der Himmel leuchtete wie stumpfes Glas; Nebelfetzen, vom Gebirge herbeifliegend, wirbelten in großen Höhen, jagten förmlich in den Äther hinein. Plötzlich begann die Luft zu knistern, zu vibrieren. Und von einem Augenblick zum anderen riß mich der Wind fast vom Pferd. Der heulende Sturm hatte die Gewalt eines Orkans. In hundertfachem Echo warf das Hochtal sein Brausen zurück. In Minutenschnelle sank die Temperatur tief unter den Gefrierpunkt. Der kalte Luftstrom brannte in meinen Lungen, ich keuchte, als müsse ich ertrinken, in meinen Ohren summte und klopfte es. Durch Zeichen gab mir Atan zu verstehen, daß ich mir einen Schal um Mund und Nase wickeln sollte. Die Wolkenfront wuchs mit atemberaubender Geschwindigkeit. Auf einmal kam Wetterleuchten auf. Es war, als zuckte und loderte hinter den dunklen Wolkenmassen ein Feuer. Mit jedem Atemzug wurde es dunkler, ein riesiger, bronzebrauner Teppich, am Himmel ausgerollt, löschte alle Farben aus. Schon wirbelten die ersten Schneeflocken. Der Orkan fiel wie ein zermalmender Hammer auf uns nieder; ich hatte das Gefühl, daß mein Trommelfell platzte, daß sich jeder Nerv unter meiner Haut zitternd zusammenkrümmte. Der Himmel öffnete sich mit Pfeifen und Brüllen, Lichter sprangen von Wolke zu Wolke. Der Schnee fiel nicht senkrecht, sondern prasselte mit ungeheurer Gewalt auf Rücken und Schultern. Mein Kopf fiel hintenüber, wurde wieder nach vorn geschleudert. Atan schrie mir etwas zu, doch der Sturm trug seine Stimme fort. Seine Flechten hatten sich gelöst, wirbelten um seinen Kopf wie dunkle Schlangen. Mein Gesicht fühlte sich an, als würden mir Messer die Haut aufritzen, ich schwankte im Sattel hin und her. Die Welt war erfüllt von Brüllen und Tosen, der Schnee verklebte mir die Augen, meine blaugefrorenen Hände konnten die Zügel kaum halten. Mit einem Mal war Atan an meiner Seite. Er beugte sich im vollen Trab weit aus dem Sattel, riß mir die Zügel aus der Hand und schrie: »Halt dich fest!«
    Ich umklammerte den Sattelknauf, spürte, daß Atan beide Tiere einen Hang hinauf lenkte. Mir war, als würde mein Reittier bei jedem Sprung unter mir weggerissen. Und immer das unaufhörliche Heulen des Windes, der auf Pferde und Reiter einhämmerte, bis das Gehirn der Reiter von dem Lärm wirbelte, und die Pferde unter der Wucht des Sturmes zu taumeln begannen. Schemenhaft sah ich Felsen durch das Schneetreiben auftauchen. Atan ritt darauf zu, 230
    suchte einige Augenblicke lang seinen Weg und brachte die Pferde endlich am Fuß einer Klippenwand zum Stehen. Sedimentgestein hatte in der Felswand klaffende Löcher gebildet, von denen einige sehr groß waren. Atan sprang zu Boden, während ich wie ein schlotterndes Bündel im Sattel saß, halb erfroren

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