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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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und keiner Reaktion mehr fähig. In einem Blizzard werden alle Sinne betäubt, die Instinkte erlahmen in wirbelnder Dunkelheit. Atan lief auf mich zu, zerrte mich aus dem Sattel. Keuchend fiel ich an seine Brust, verzweifelt Schneebrocken speiend, bekam einen Schluck Luft in die Lunge, der Schnee mitriß, und konnte nur husten und husten, bis ich röchelnd auf die Knie fiel. Meine Beine hatten jede Kraft verloren, und meine Zähne schlugen aufeinander. Atan riß mich hoch, zog mich über die Steine, einer Nische entgegen, die groß genug war, daß auch die Pferde darin Unterschlupf finden konnten. Atan führte mich in das Loch, half mir, mich hinzusetzen. Er warf mir den Wolfspelz zu, in den ich mich schlotternd hüllte. Dann verschwand er im stürmenden Schnee. Einen Augenblick später war er wieder da, schob und zerrte die Pferde in die Höhle. Teilnahmslos und erstarrt kauerte ich am Boden. Die Felsnische war nicht tief, bot aber ausreichend Schutz. Deckengewölbe und Wände bildeten eine glatte Fläche, wie von Menschenhand gehauen. Mein Kopf tat mir zum Verrücktwerden weh. Ich legte beide Hände an die Stirn, massierte zuerst die Schläfen, dann den Nacken. Alle Geräusche kamen mir dumpf und fern vor; nicht einmal das Scharren der Hufe drang an mein Gehör; es war, als ob sich die Pferde völlig lautlos bewegten.
    Atan schien mehrere Dinge gleichzeitig zu tun; den Tieren Sattel und Gepäck abzunehmen, sie trockenzureiben, in den Felsritzen nach Büschen zu suchen, ein Feuer zu entfachen. Jede seiner Bewegungen war flink und überlegt, sparsam und auf das Wesentliche gerichtet.
    Das feuchte Holz qualmte stark; es dauerte eine ganze Weile, bis die Flammen hochschlugen. Ich fror bis ins Mark, meine Kopfschmerzen wurden nicht besser. In der Feldflasche war noch Tee. Atan schüttete den Rest in den Kessel, wärmte ihn auf, vermischte ihn mit Tsampa. Dann kam er zu mir, umfaßte meine Schultern und flößte mir das heiße Getränk ein. Ich trank, verbrannte mir den Mund, holte tief Atem. Atan sagte etwas. Ich sah wenigstens, daß er etwas sagte, denn hören konnte ich nichts. Ich schluckte und versuchte zu gähnen, meine Ohren freizumachen. Es verschaffte mir keine Erleichterung. Atan sagte wieder etwas. Ich sah im fahlen Feuerschein, wie sich seine Lippen bewegten; nur ein 231
    ganz feines Geräusch summte in der watteweichen Stille, die mich umgab.
    »Kann nicht hören… tut mir leid!« stieß ich hervor, hörte aber die Worte nur im Geist. Er nickte, sprach weiter. Nichts. Ich verstand nichts. Ich sah ihn verzweifelt an, versuchte seine Lippenbewegungen zu lesen. Meine Zähne schlugen aufeinander, ich fror bis ins Mark. Atan rieb mir die klatschnassen Haare trocken, massierte mit kräftigen Bewegungen meine Arme und Hände. Nach und nach kam das Blut wieder in Bewegung. Langsam lockerten sich meine erstarrten Muskeln. Auf einmal sauste und zischte es in meinen Ohren. Ich bohrte mit den Fingern darin herum, bewegte den Kiefer. Es gab einen schmerzhaften Knacks. Das Summen platzte wie eine Blase, und mein Trommelfell wurde frei. Die Welt erfüllte sich mit Knistern, Hufescharren, heulenden Pfeifen und orkanartigem Tosen. Atans Stimme, dicht neben mir, klang wunderbar deutlich.
    »Besser?«
    »Ich war ganz taub.«
    Er nickte.
    »Das kommt vom Luftdruck.«
    Nach und nach kam ich wieder zur Besinnung.
    »Ist die Welt schon untergegangen?«
    Er zeigte den Anflug eines Grinsens.
    »Noch nicht.«
    »Ich bin ziemlich erledigt«, seufzte ich.
    Jetzt grinste er noch breiter.
    »Offen gesagt, ich auch. Das war keine Frühjahrsbrise. Manche wären jetzt bis zu den Zehennägeln blau.«
    »Und was nun?« fragte ich zähneklappernd.
    »Wir warten hier. Dreht sich der Wind, schmilzt der Schnee schnell.«
    Die Pferde mußten versorgt werden. Atan füllte Schnee in den Kessel, stellte ihn über das Feuer. Das Wasser vermischte er mit Kleie und Salz. Er fütterte die Tiere aus einem kleinen Eimer, den er in seiner Satteltasche mitführte. Ich sagte:
    »Du denkst wirklich an alles!«
    Er erwiderte mein Lächeln.
    »Hoffentlich.«
    An dem Atem und dem Geruch der Pferde spürte ich, wie sich die Tiere entspannten. Sie waren müde und dösten bald ein. Atan setzte 232
    sich zu mir, zog seinen Wolfspelz über uns beide. Wir schmiegten uns zum Schutz vor der Kälte eng aneinander. Ich genoß es, seine Wärme und Berührung zu spüren. Ich fühlte mich in seiner Nähe sicher und behaglich.
    »Es ist seltsam«, sagte ich.
    »Was ist

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