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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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dich nicht. Atme nicht, wenn du kannst. Ein Lichtstrahl tastete vor mir den Boden ab, zuckte und tanzte um mich herum. Ich schloß die Augen. Die Sekunden dehnten sich. Und da, ausgerechnet da, bewegte sich Shelo und stöhnte. Die 321
    Taschenlampe hob sich, schien mir grell ins Gesicht. Gleichzeitig rief einer der Soldaten seinen Kollegen etwas zu. Es klang wie ein Bellen. Hartes Gelächter antwortete. Meine Augen blinzelten ins Licht. Die Soldaten kamen von allen Seiten herbei. Sie waren mit Maschinenpistolen bewaffnet, die Knöpfe ihrer Uniformen glitzerten, ihre Beine stecken in Stiefeln mit Gamaschen. Der Mann, der mich entdeckt hatte, bückte sich und leuchtete in den Spalt.
    Shelos Lider zuckten unter dem blutverklebten Haar. Sie straffte die Muskeln, atmete schwer und keuchend. Der Chinese ließ ein heiseres Lachen hören. Meine Hand flog an den Köcher, doch nicht schnell genug. Bevor der Pfeil an der Bogensehne lag, trag ein Fußtritt mein Gelenk. Ich schrie auf, ließ den Bogen fallen. Der Soldat packte mich, zerrte mich aus dem Versteck. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie ein zweiter Soldat mein Pfeilbündel zerbrach und in den Schutt warf. Wie durch einen Nebel hörte ich Stimmen und Gelächter. Ich drehte und krümmte mich, bohrte meine Zähne in die Hand des Mannes, der mich hielt. Der Soldat zog mich an den Haaren, zerrte meinen Kopf nach hinten. Ich rammte ihm mit aller Gewalt mein Knie in den Unterleib. Er grunzte und ließ mich los. Ein Kolbenschlag traf mich mit voller Wucht am Rücken, ein zweiter am Kopf. Ich stürzte zu Boden. Der Schmerz betäubte mich; von den Hüften abwärts war ich wie gelähmt. Ich konnte mich nicht rühren, vor meinen Augen drehte sich alles. Ich sah, wie zwei Chinesen sich bückten, meine Mutter aus dem Versteck schleiften und auf die Beine stellten. Sie griff nach dem Dolch an ihrem Gürtel, doch ein Soldat drehte ihr den Arm auf den Rücken. Sie stöhnte, ließ den Dolch fallen. Sie schlug um sich, wehrte sich, doch ihre Kräfte waren verbraucht. Sie fiel in die Trümmer, versuchte sich hochzustemmen, aber die Soldaten hinderten sie mit Fußtritten und Kolbenschlägen immer wieder daran, bis sie regungslos am Boden lag. Zwei Soldaten beugten sich zu Shelo hinunter, packten sie unter den Armen und schleiften sie, eine dunkle Blutspur zurücklassend, durch den Schutt. Ich wollte mich aufrichten. Es ging nicht. Weil ich weder schrie noch mich regte, hielten mich die Soldaten wohl für tot.
    Das Geräusch ihrer Schritte entfernte sich. Ich legte beide Handflächen auf die Erde, versuchte mich auf die Knie zu stemmen.
    Kalter Schweiß brach mir am ganzen Körper aus. Der rauchschwarze Nachthimmel mitsamt dem blutbefleckten Mond stürzten auf mich nieder. Mein Gesicht fiel in den Schutt. Ich verlor das Bewußtsein.
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41. Kapitel

    D er Wind weckte mich. Ich wußte nicht, was geschehen war, warum ich solche Schmerzen hatte. Das Pochen in meinem Kopf war kaum zu ertragen; die Erde war sonderbar heiß unter mir, und ich hatte entsetzlichen Durst. Ich fuhr mit der Zunge über die trockenen Lippen. Vor mir leuchtete ein Feuer, schwelte eher, als daß es brannte. Unbestimmte Geräusche drangen an mein Ohr – Schreie, Explosionen. Als wieder ein Andeutung von Kraft in meine Glieder zurückkehrte, hob ich mich schwankend auf die Knie. Die Anstrengung ließ mich mit den Zähnen knirschen. Die dunkle Erde zog mich an, und meine Seele sehnte sich verzweifelt nach dem Frieden, den sie zu versprechen schien. Aber eine gigantische, rotglühende Erscheinung schlug mich mit unwiderstehlicher Kraft in ihren Bann, fesselte meine Aufmerksamkeit. Konnte ich meinen Augen trauen? Als ich endlich erfaßte, was ich sah, kämpfte Ungläubigkeit mit fassungsloser Bestürzung in mir. Der bronzene Matreya, der einzige, der sich im zerstörten Heiligtum noch auf dem Sockel hielt, hatte alle Hitze aufgesaugt. Das Standbild leuchtete glühendrot, wie Eisen auf dem Schmiedeamboß, ohne seine Form zu verändern. Unter dem mächtigen Kopfputz wölbte sich die klare Stirn, die Augen mit den hohen Brauenbögen blickten heiter, die schön geschwungenen Lippen deuteten ein Lächeln an. Das Riesenantlitz schaute herab, wie der Himmel auf die Erde schaut, unfaßbar in seiner Majestät, unerforschlich in seinem Geheimnis.
    Die friedlich erhobene Hand versprach Gnade und Erlösung. Sein Lächeln war eine Andeutung davon, eine Wohltat, ein Versprechen.
    Der Matreya glühte, er glühte sich aus in tiefem

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