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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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hörte das Prasseln von Steinen und wurde gegen eine Wand geschleudert. Im selben Augenblick barst das Heiligtum, das goldende Dach explodierte. Der Tempel wankte, als sei er nicht auf uraltem Stein, sondern auf flüssigen Schlamm erbaut. Die kaminroten Wände stürzten nieder, und hoch über dem flackernden Leuchten ruhte der Matraya, der Buddha der Zukunft, auf seinem goldenen Sockel. Die Statue schien in den Flammen zu schweben, wie auf einem wogendem Meer. Hustend, nach Atem ringend, kam ich wieder zu mir. Das Echo der Explosion dröhnte in meinem Kopf. Ich hatte das Gefühl, taub zu sein. Bitterer Staub drang mir in Mund und Nase. Ein Gewicht lastete auf mir, nahm mir den Atem.
    Allmählich wurde ich gewahr, daß Shelos Arme mich noch immer umschlungen hielten. Sie lag quer über mir, und ich erstickte fast unter dem Druck ihrer Umarmung. Endlich bewegte sich Shelo. Ihre Arme lösten sich von mir. Ich konnte mich aufrichten. Wir husteten und würgten, das Blut floß und aus Nase und Ohren. Shelo war am Kopf verletzt, ein Splitter hatte sich in ihre Stirn gebohrt. Ich weiß nicht, wie wir die Explosion hatten überleben können. Shelo hielt sich an mir fest, doch dann schwankte sie und fiel wieder hin. Ich kauerte mich neben ihr nieder. Als ich den Splitter behutsam aus ihrer Stirn zog, begann die Wunde zu bluten. Shelo stützte sich schwer auf mich, um wieder auf die Beine zu kommen. Der Hof war mit Toten und Verstümmelten übersät. Zwischen Mörtel und Steinen wälzten sich blutende Menschen.
    Die Klosterstadt, die seit Jahrhunderten stand, erlebte ihren letzten Tag auf Erden. Unaufhaltsam warfen die Kampfmaschinen ihre Bombenlast ab. Die Überlebenden fochten ihren letzten Kampf. Nur wenige entkamen. Die meisten versuchten es gar nicht. Sie hatten keine Kraft mehr.
    Gegen Abend zogen die Flugzeuge ab. Doch dann kamen die Fußtruppen und gingen mit methodischer Begeisterung ans Werk.
    Hunderte von Mönchen und Nonnen wurden niedergemetzelt, die Verletzten in Stücke gehackt. Ganze Familien wurden zusammengetrieben und durch Genickschuß getötet. Manchen Kindern drückte man ein Gewehr in die Hand. Man ließ sie die 320
    Waffe auf ihre Eltern richten und preßte die Finger der Kinder auf den Abzug. Daraufhin wurde verkündet, die glorreiche Volksbefreiungsarmee habe die Rebellen verjagt, die Stunde der Justiz sei angebrochen.
    Shelo hatte durch ihre Kopfverletzungen viel Blut verloren. Mir war es gelungen, sie hinter einen Mauervorsprung zu zerren. Die Mauer bildete eine Art Höhle. Als ich mit Shelo dort hineingekrochen war, fühlte ich mich besser. Das Loch war ziemlich tief; ich glaubte nicht, daß sie uns hier nicht finden würden.
    Die Dämmerung war vom roten Glühen der Brände erfüllt.
    Manchmal, wenn Mauern einstürzten oder Dächer nachgaben, fegten stinkende Rauchwolken durch das krachende Getöse. Ich kauerte dicht neben Shelo. Am ganzen Leib war ich wund, meine Rippen geprellt, Brust, Rücken, Arme, alles tat weh. In der Ferne hörte ich Entsetzensschreie, zornige Stimmen, das Geräusch von Maschinengewehren. Ich wartete zitternd, daß der Lärm verhallte.
    Sobald es still wurde, atmete ich auf. Shelo bewegte sich nur langsam, mit größter Mühe. Ihre Lider flatterten. Sie versuchte wach zu bleiben, aber die Augen fielen ihr immer wieder zu. Ich wußte damals nicht, daß eine schwere Kopfverletzung diesen Betäubungszustand erzeugt. Ich dachte, wenn sie ein paar Stunden ruht, wird sie wieder bei Kräften sein. Sobald es dunkel war, mußten wir die Flucht durch die Trümmer wagen. Jetzt noch nicht. Shelo war zu geschwächt. Wir würden nicht weit kommen. Ich hatte noch drei Pfeile im Köcher. Ich prüfte mit dem Daumen die Spitzen. Wer uns hier festzunehmen versuchte, den würde ich nicht verfehlen.
    Ich fror und glühte zugleich, meine Zähne klapperten. Noch etwas Geduld… Eine Zeitlang hörte ich nichts. Ich entspannte mich gerade, da blitzte auf einmal etwas Helles auf. Mein Haar sträubte sich.
    Soldaten, etwa acht an der Zahl, wanderten in zwei Gruppen auf das Ruinenfeld zu. Die einen kamen von rechts, die anderen von links.
    Sie hatten starke Taschenlampen bei sich. Ich hörte die Kommandorufe, die Tritte der eisenbeschlagenen Stiefel. Ich biß mir hart auf die Lippen. Stillhalten. Verstecken und vorbeiziehen lassen.
    Ich duckte mich tiefer, preßte mein Gesicht in den Schutt. Shelo schlief. Die Schritte und Stimmen kamen näher. Ich drehte den Kopf zur Seite, zog die Füße an. Rühr

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