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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schickt dich mit einer Botschaft zu mir. Nun, wie lautet sie?«
    Ich sagte, was man mir aufgetragen hatte. Im Schutz der Nacht würde man Seine Heiligkeit, sein Gefolge und seine Familie aus dem Palast geleiten. Sie würden auf der bereitstehenden Ramagang-Fähre den Fluß überqueren und dann in das von uns kontrollierte Gebiet reiten. Ich gab ihm die wesentlichen Einzelheiten bekannt, und es waren ziemlich viele. Als ich ihm alles mitgeteilt hatte, nickte mein Vater:
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    »Sage Asuktsang, daß wir auf das Signal warten und bereit sind.
    Seine Heiligkeit weiß, daß er mehr für sein Land tun kann, wenn er nicht in die Hände des Feindes fällt. Wir werden um sein Wohl bemüht sein und ihm die anstrengende Reise so leicht wie möglich machen… «
    Wir sprachen noch ein wenig von den verstorbenen Großeltern; von anderen Menschen, die er gekannt und geliebt hatte. Wir sprachen von Lithang; doch Lithang bestand nicht mehr, und über die verkohlten Ruinen strichen nur die Adler. Mein Vater stellte einige Fragen, die mich betrafen, und gab mir Geld aus seiner persönlichen Schatulle. Er war stolz, daß ich zu den Khelenpas gehen würde, mahnte mich jedoch, mein Leben nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
    Nach einer Weile warf er einen Blick aus dem Fenster. Der Tag brach an; schwarz hoben sich die Bäume gegen den kupferfarbenen Himmel ab. Mein Vater seufzte.
    Wir umarmten einander stumm und innig. Tilen ließ mir meine Waffen zurückgeben. Ein Mönch bekam den Auftrag, mich zum Quartier der Dienerschaft zu bringen, wo ich eine warme Mahlzeit erhielt. Dann geleiteten mich die Wachen aus dem Norbulinka.
    Ich sollte meinen Vater nie wiedersehen; er starb einige Jahre später in Dharamsala, wo Seine Heiligkeit die Exilregierung gründete.
    Was in den folgenden Tagen in Lhasa geschah, gehört bereits zur Geschichte. Seine Heiligkeit selbst berichtete in seinen Memoiren, wie man das Gerücht in Umlauf brachte, daß er sich in den Potala zurückziehen würde. Einige Lastwagen fuhren zum Potala und wieder zurück, ein Tarnmanöver, das die Chinesen täuschen sollte.
    Inzwischen hielt sich Osher mit seinen Kriegern bereit. Zuerst brachte man die geistlichen Betreuer des Dalai Lama und die Mitglieder des Kashags im Laderaum eines Lastwagens unter der Plane versteckt aus dem Palast. Ein paar Stunden später folgten der Dalai Lama, seine Eltern und seine Geschwister. Alle, auch Seine Heiligkeit, waren als Soldaten verkleidet. Sie verließen den Norbulinka zwei Stunden vor Mitternacht; es war kalt, ein heftiger Wind rüttelte an den Zweigen. Als Seine Heiligkeit mit seinen Begleitern durch die Menge schritt, nahm er seine Brille ab, um nicht erkannt zu werden. Im Schein eines blassen Mondes lagerten Tausende, die für ihn beteten. Er wußte, daß sie sterben würden. Sein Herz blutete für sie, würde immer bluten. Die Luft knisterte und 356
    vibrierte, die Scheinwerfer, die das Hauptquartier der Chinesen erleuchteten, entfalteten einen fernen Lichthof am Himmel. Das schwarze Wasser plätscherte und schäumte, die Fähre war bereit.
    Am anderen Flußufer, im Schutz der Dunkelheit, warteten zu Pferd die Anführer der Khelenpas. Sie würden die Fliehenden über die Pässe geleiten, über die höchsten Berge dieser Welt, heil und sicher ins indische Exil.
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46. Kapitel

    I ch habe seither in vielen Schlachten gekämpft und viele Städte brennen gesehen. Es ist einfach, einen Menschen zu töten; meistens sorgte ich dafür, daß es schnell ging. Bei den Khelenpa hatte ich manches gelernt, und am Anfang fühlte ich mich manchmal versucht, den Tod meines Opfers in die Länge zu ziehen. Aber dann dachte ich an meine Mutter. Ihr Herz würde nicht einverstanden sein, und so ließ ich es bleiben.
    Mit neunzehn ging ich nach Taiwan, dann in die USA, wie ich bereits erzählte. In Colorado hielten sie uns für ungebildete Wilde, die Trainingsprogramme waren demnach auf minderbemittelte Geschöpfe zugeschnitten. Wir waren Experimentierobjekte. Am liebsten hätten sie uns im Käfig gehalten. Immerhin durften wird uns am Samstag abend betrinken und in Bordelle gehen, von denen es eine ganze Anzahl gab. Nachdem ich meinen Führerschein gemacht hatte, erlaubte man mir, mich außerhalb des Camps zu bewegen –
    man erklärte mir nur, daß ich in Schwierigkeiten geraten könnte, was auch immer wieder passierte. Gleichwohl bekam ich ein paar Extrastreifen am Ärmel. Man wollte mich in Vietnam einsetzen. Ich sagte, das sei nicht mein Krieg.

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