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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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deswegen.«
    Zwei chinesische Offiziere kamen herein. Mädchen gesellten sich zu ihnen. Alle sprachen laut miteinander und lachten. Nach einer Weile sahen die Offiziere zu uns hinüber und versuchten offenbar zu hören, was wir sagten. Chodonla hustete hinter vorgehaltener Hand und war mir einen Blick zu, in dem eine Warnung stand. Ich erhob mich.
    »Vielleicht bin ich morgen noch in Lhasa.«
    »Morgen habe ich keine Zeit«, sagte sie laut. Ich warf einen Geldschein auf den Tisch. Die Chinesen folgten mir mit den Augen, als ich ging.
    Ich kam am nächsten Tag wieder. Sie stand hinter der Bar und spülte Gläser. Die Discomusik spielte laut, irgendeine Schnulze aus Hongkong. Es roch nach kaltem Rauch und chinesischen Gewürzen.
    Das Amy führte ein reichliches Sortiment alkoholischer Getränke: Whisky, Cognac, Perlwein, Wodka, Brandy und das chinesische Quingdao-Bier, das viel zu süß ist. Ich bot Chodonla eine Zigarette an, die sie sich selbst anzündete. In China – und neuerdings auch in Tibet – rauchten nur »schlechte« Frauen. Sie inhalierte tief und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Ihre Hände waren klein und weich wie die eines Kindes und zitterten leicht. Die blutrot lackierten Nägel paßten nicht dazu.
    »Wo lebst du?« fragte sie.
    »Es kommt vor«, sagte ich gedehnt, »daß ich in einer Jurte lebe.«
    Jetzt war es, als lächle sich kaum merklich. Ich legte meine Finger behutsam auf die ihren, formte unser geheimes Erkennungszeichen.
    Sie fuhr leicht zusammen. Ihre Augen weiteten sich. Sie schluckte und sagte:
    »Sie beobachten dich.«
    »Das kann ich nicht ändern.«
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    »Du solltest nicht mehr kommen.«
    »Das wäre zweifellos besser«, gab ich zu. »Wo kann ich dich treffen?«
    Ihre Augen schweiften nervös umher. Leise und verstohlen nannte sie mir eine Adresse.
    »Die Wohnung gehört einem Freund. Er ist nicht da. Eine Frau kümmert sich um das Kind. Sie wird schlafen.«
    Der chinesische Besitzer des Restaurants kam hinter einem engen Türvorhang hervor. Chodonla biß sich auf die Lippen. Ich zeigte auf die Brandyflasche und hielt ihr mein Glas hin. Sie füllte es, mit geübter Hand. Ich klaubte einige Münzen aus meiner Tschuba, legte bedächtig jede einzelne auf den Tisch. Der Besitzer sah mir auf die Finger. Als ich fertig war, raffte er das Geld mit einer Handbewegung zusammen und steckte es in die Kasse. Ein paar Männer in der grünen Uniform der Sicherheitsbehörden saßen in der Nähe der Tanzfläche. Sie musterten mich von oben bis unten, und ihre kalten Gesichter verhehlten nicht ihre Mißbilligung. Ich erwiderte ihre Blicke, worauf sie mir den Rücken zuwandten.
    Chodonlas Gesichtsausdruck warnte mich. Man sollte sich nicht freiwillig in die Höhe des Löwen begeben. Ich nickte Chodonla kurz zu.
    »Heute abend?«
    »Zur Stunde des Ochsens«, flüsterte sie. »Warte draußen auf mich.«
    Sie nahm das leere Glas und hielt es unter den Wasserhahn. Ich stapfte hinaus uns setzte mich an den Straßenrand vor das rotbeflaggte Shopping-Center. Dort atmete ich die stinkenden Abgase ein und versuchte herauszufinden, ob ich möglicherweise schon bespitzelt wurde. Aber ich sah nichts, was mir verdächtig erschienen wäre. Am Abendhimmel zogen weiße Quellwolken auf.
    Ich hatte mich verliebt.
    Sie wohnte in einem der gesichtslosen Wohnblöcke am Stadtrand.
    Ein paar kleine Bäume warfen Schatten auf die von Graffiti zerkratzten Mauern. Die Straße war staubig und ungepflastert, und doch war es – für tibetische Begriffe – eine Luxusgegend. Hier wohnten chinesische Staatsangestellte und einige Tibeter, die ein hohes Gehalt bezogen. Die meisten Chinesen gingen ungern nach Tibet; sie mochten weder das Land noch das Klima noch die Leute; aber die Löhne waren höher als im Mutterland, und die Wohnungen standen ihnen fast kostenlos zur Verfügung. Ich kauerte im Schatten 373
    und wartete; es war Herbst, aber die Kälte machte mir nichts aus. Sie kam kurz nach Mitternacht. Alleine, auf einem Fahrrad. Sie trug zu ihrer Hose eine Daunenjacke und eine Mütze. Sie schloß auf, schob das Fahrrad in den Eingang. Als ich mich aus der Dunkelheit löste, legte sie kurz die Finger an die Lippen.
    Sie wohnte im dritten Stock. Die Treppe war dunkel und steil. Auf jedem Absatz schien das blaue Nachtlicht durch trübe Fensterscheiben. Chodonla schloß die Tür auf und zog zuerst die Läden zu, bevor sie Licht machte. Zwei Zimmer, wie ich sehen konnte. Eine Luxusabsteige mit Badewanne, Toilette und

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