Die Tibeterin
danach?«
»Danach änderte sich ihr Umgangston.«
»Ich verstehe.«
Ich lachte. Sie lächelte nur.
Ich nahm das leere Glas aus Chodonlas Händen und stellte es auf den Tisch. Dann streckte ich die Hand aus, strich über ihr Haar, ließ es durch meine Finger gleiten. Sie fuhr fort, mich zu betrachten, und ich sah, daß ihre Lippen zitterten. Sie war völlig ungeschminkt, und ihr Antlitz war von verwirrender Harmonie. In ihren mandelförmigen Augen tanzten zwei goldene Funken. Als ich ihre Wange streichelte, keuchte sie leicht, weil sie zuvor den Atem angehalten hatte. Dann neigte sie den Kopf; ihr Gesicht preßte sich an meine Brust.
Neben dem Zimmer befand sich ein kleiner Schlafraum, ein Bett, das modrig roch. Der Raum war unterteilt; eine Decke hing an einer Leine, dahinter schliefen die alte Frau und das Kind. Eine mit Ölpapier bezogene Lampe warf auf den Boden eine rötliche Pfütze, die wie eine Blutlache aussah. Vor diesem Bett entkleidete sie sich, die Augen unverwandt auf die meinen gerichtet. Sie hatte nicht den Blick einer Hure, hatte ihn nie gehabt – ihr fehlte das Verheißungsvolle. Auch versuchte sie nicht, mich zu verführen. Sie 376
entkleidete sich in aller Unschuld, mit wehmütiger Lässigkeit, als wäre sie allein. Zwischen uns fiel kein Wort. Ich nahm sie in die Arme und spürte ihren zerbrechlichen Körper. Ihre Arme hingen herab, und ihre rot lackierten Nägel leuchteten wie Blutstropfen. In dem Augenblick, da ich ihren Büstenhalter löste, wich sie heftig zurück. Doch ich hatte die vernarbten Brustwarzen bereits gesehen.
Sie machte eine Bewegung, unwillkürlich, wie mir schien; ihre roten Nägel schossen auf meine Augen zu. Doch ich war schneller, packte sie an den Gelenken, riß sie herum. Sie fiel rücklings auf die Matratze. Ich legte mich auf sie, machte sie mit meinem Gewicht bewegungsunfähig. Sie wand sich verzweifelt unter mir, doch ich hielt sie fest. Ich sah ihre umschatteten Augen, sah ihre kleinen, scharfen Zähne aufblitzen. Ihr Gesicht wurde schmal, ihre verstümmelten Brüste preßten sich an meine Haut.
»Was meinst du?« fragte ich leise. »Warum schämst du dich vor mir? Sei doch stolz: Diese Narben sind Siegeszeichen. Da, sieh dir meine an.«
Ich nahm ihre Hand, führte sie über meine nackte Brust. Ihre Augen, dunkel und matt, wurden plötzlich feucht und durchsichtig wie Glas.
»Es hat so weh getan«, murmelte sie.
»Es ist schwer, Schmerzen zu ertragen. Und noch schwerer, sich nicht dabei zu schämen. Aber man kann es lernen. Wer in die Gesichter seiner Folterer blickt, sieht keine Menschen, nur Instrumente des Grauens. Flehen und Schreie sind für sie Genuß.
Verhöhne sie, und du wirst siegen. Und wenn der Schmerz zu stark wird, nimmt ihn die Ohnmacht von dir.«
Ich fühlte, wie sie am ganzen Körper zitterte. Leise, kaum hörbar, sagte sie:
»Ich habe keine Kraft mehr.«
»Wir haben genug Kraft«, erwiderte ich. »Solange wir daran glauben.«
Ihre Wimpern senkten sich über die Augen wie Vorhänge. Sie kämpfte gegen ihre Tränen, als seien sie etwas Widernatürliches. Ich streichelte ihren Kopf; er fühlte sich durch ihr Haar hindurch an wie der eines Kindes. Ich hatte solches Mitleid mit ihr. Es drängte mich, sie zum Reden zu bringen, doch ich fürchtete, sie zu demütigen. Ihre Finger tasteten über meine Brust, knoteten den Gürtel meiner Tschuba auf. Ich brauchte nicht lange, um mich zu entkleiden. Sie half mir dabei, und diesmal waren ihre Gesten sehr kundig. Sie war 377
ausdauernd in ihrer Zartheit. Ihre Augen waren weit geöffnet, nicht mehr ängstlich jetzt, sondern überrascht, fassungslos. Ich nahm ihr Gesicht in beide Hände, küßte sie. Ich führte sie aus den geheimen Winkeln ihrer Zurückhaltung heraus, bis sie mir ihr Vertrauen schenkte und eine langgezogene leise Klage sich aus ihrer Kehle löste, eine Klage, die wie das Zerreißen fein gesponnener Seide klang.
Später blieben wir ein paar Augenblicke lang unbeweglich liegen.
Neben mir vernahm ich Chodonlas Atemzüge. Ihre zerbrechlichen, zu heißen Hände streichelten meine Schultern, während sie aus den Tiefen der Lust langsam an die Oberfläche der Wirklichkeit zurückkehrte.
Ich sagte: »Es tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun.«
Sie sah an sich herab, betrachtete ihre Brüste. »Ich zeige sie nie.
Die Kunden können mit mir machen, was sie wollen. Nur das nicht.
Es wird geduldet. Chen, der Besitzer, weiß Bescheid. Aber er plaudert nichts aus. Viele Kunden kommen
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