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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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meinetwegen, das weiß er. «
    In den weichen Schatten zwischen ihren Brüsten glitzerte Schweiß.
    Ich strich mit der Zunge darüber.
    »Wie ist es geschehen?«
    Ihr Gesicht verkrampfte sich; sie rollte sich zusammen, beide Arme vor die Brüste gepreßt, schüttelte den Kopf und flüsterte etwas. Ich konnte erraten, was es bedeutete, und sah, daß sie nicht antworten konnte. In dieser Nacht sprachen wir nicht mehr darüber. Und auch nicht über andere Dinge. Und als es hell wurde, sagte sie, daß ich jetzt gehen müsse.
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48. Kapitel

    I n dem eigenartigen Gefühl, das ich für Chodonla empfand, mischte sich Mitleid mit körperlicher und psychischer Anziehungskraft. Noch nie war mir eine so widersprüchliche Frau begegnet wie sie. Sie verblüffte mich. Ihre bloße Gegenwart löste bei mir einen Zustand permanenter Erregung aus. Mut fasziniert mich immer, bei Männern wie bei Frauen, und ich hatte das starke Gefühl, daß ich, meine Mutter ausgenommen, nie zuvor einer mutigeren Frau begegnet war. Dabei machte ihre Gestalt eher den Eindruck ungeheurer Zerbrechlichkeit. Doch so zart ihr Körper, so unbezähmbar war ihre Seele. Ich war von ihr betört, weil sie scheinbar an nichts glaubte. Ihr müdes Lächeln war geisterhaft. Sie mußte die Verzweiflung gekannt haben, das lähmende Entsetzen, die Umklammerung des Wahnsinns. Da gab es bisweilen eine Handbewegung, eine Kopfwendung, einen Blick, die mir Scheu, ja Ehrfurcht einflößten vor soviel Stolz und Weisheit. Und jede Stunde, die ich mit ihr verbrachte, schien mir die kostbarste meines Lebens, wußte ich doch aus Erfahrung, daß der glückselige Wahn vergehen und die unbarmherzige Wirklichkeit wieder zuschlagen würde.
    Von Sun Li war selten zwischen uns die Rede, vielleicht infolge des Schweigens, das zwischen uns herrschte, wenn wir uns in der Nacht liebten. Wir vergingen beide in einer Art irrsinnigem Rausch.
    Es mochte vorkommen, daß Chodonla ihn kurz erwähnte.
    »Ich wohnte in einem Zimmer ohne Heizung, ohne fließendes Wasser. Kunsang war stets erkältet. Sun Li hatte Mitleid mit ihr.«
    Das Kind. In Chodonlas Gedanken war das Kind immer da. Es machte sie stark. Da Chodonla nachts arbeitete, bezahlte sie eine Frau, Ani Wangmo, die das Kind betreute und zur Schule brachte.
    Sie gab fast ihr ganzes Gehalt dafür aus. Ani Wangmos Mutter hatte bei einer adligen Familie gedient. Die Rotgardisten zwangen Mutter und Tochter, in einem Steinbruch zu arbeiten.
    »Man hat sie so geschlagen, daß sie fast überschnappte.«
    Nach einer Vergewaltigung wurde Ani Wangmo zur Abtreibung gezwungen und gegen ihren Willen sterilisiert.
    »Nach ein paar Jahren wurde die Mutter mit Knochenbrüchen entlassen. Sie konnte nicht mehr gehen. Ani Wangmo schob sie in einem Schubkarren, den sie gestohlen hatte. Die Mutter starb.«
    Ani Wangmo war eine schmale, gebrechliche Frau mit 379
    verkrüppelten Gelenken. Kummer und Entbehrungen hatten sie bereits in jungen Jahren verbraucht. Ich begrüßte sie mit Ehrerbietung, sie schien darüber erfreut. Sie hatte etwas von einem kleinen, stolzen Vogel an sich. Ihre Sprache hörte sich schlicht, aber keineswegs ungebildet an. Sie wusch die Kleine, gab ihr zu essen, brachte sie frühmorgens zur Schule. Als ich Kunsang zum ersten Mal sah, war sie knapp sechs Jahre alt und schlief auf ihrer Matratze.
    Die schwarzblauen Augenbrauen wölbten sich voller Unschuld, die Wimpern waren ungewöhnlich dicht. Ihr kleiner Mund glich einer Knospe. Ich hatte nur Söhne, derbe, braungebrannte kleine Kerle.
    Der Anblick dieses kleinen Mädchens rührte mich. Als ich sie betrachtete, erwachte sie; ihre mandelförmigen Augen blinzelten mir verschlafen zu. Chodonla umarmte die Kleine, zog ihr die Decken zurecht. Die langen Wimpern senkten sich. Kunsang schlief friedlich wieder ein.
    »Manchmal ist es herrlich, daß ich sie habe«, sagte Chodonla.
    »Ist das Kind von ihm?« fragte ich.
    Sie stand vor der Kochplatte, zerkrümelte ein Stück Teebrickett, das sie mit etwas Salz in den kupfernen Kessel warf. Ihr Gesicht war abgewandt, ich sah nur ihr Profil.
    »Ich weiß nicht, von wem es ist. Es kann von irgendeinem sein.«
    Ihre Stimme klang schneidend. Ich sagte:
    »Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen.«
    Das Kind gehört der Mutter. Man fragt die Frauen nicht, von wem sie ein Kind tragen; das kommende Leben ist heilig. Doch die Art, wie sie sprach, machte mich hellhörig: Es war, als ob tiefes Elend ihre Lippen versiegelte. Nach einer Weile sagte sie: »Ich

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